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Zugleich aber hat die Oberfläche des Sehhügels im weibliehen Gehirn eine mehr viereckige,
beim Manne eine mehr längliche, schmale Gestalt, wodurch also das Weib auch in dieser Hinsicht
den kindlichen Typus besitzt.
Indem ich endlich einen senkrechten Querdurchschnitt durch den Streifenhügel — dem Anfange
des Ilornslreifes — bei einem männlichen und an einem weiblichen Gehirn machte, ergab sich, dass
der Nucleus caudatus bei beiden Geschlechtern 113 □Mill. auf der Durchschnittsfläche hatte, der Nucleus
lentiformis dagegen am männlichen Gehirn 525 GMill., am weiblichen nur 300 GMilL, so dass
der männliche Linsenkern um 225 üMill. grösser war.
Diese Geschlechts Verschiedenheit, wenn sie Regel seyn sollte, lässt sich damit sehr wohl in
Uebcreinslimmung bringen, dass der Linsenkern die später sich entwickelnde Abtheilung des ganzen
SIrcifenhügels ist und deshalb wahrscheinlich auch sein edlerer Theil. Er ist bei den Säugethieren,
z.B. im Gehirn des Hundes, noch äusserst klein im Yerhältniss zum Nucleus caudatus und besteht
hier nur aus einer nach aussen umgebogenen Spitze des unteren Endes vom geschwänzten Kern.
Deshalb entwickelt sich dann auch der Stammlappen, der mit ihm genau zusammenhängt, so spät.
Dagegen ist der Nucleus taeniaeformis im Hunde schon bei Weitem vollkommener ausgebildet.
IL Die Menschenra^en.
Die anthropologische Encephalolomie, welche kaum an das ganze Gehirn und an grosses und
kleines Gehirn reicht, vermag natürlich in ihrem jetzigen Zustande noch viel weniger, sich bis zu
einer Bestimmung zu erheben, ob beim Neger oder bei anderen Menschenrac,en die Centralganglien,
was wahrscheinlich, ein anderes Gewichts- und Grössenverhältniss zu den Hemisphären haben, als
beim Kaukasier. Tiedemannl) konnte zwar im inneren Baue des Negers Honore „durchaus keinen
Unterschied von denen des Hirns der Europäer wahrnehmen." Vierhügel, Hirnklappen, Wasserleitung
, Zirbel, Sehhügel, Streifenhügel, Balken und die beiden anderen Commissuren verhielten sich
ganz wie hier. Zwar fand er nicht die weiche Commissur, sie mangelt aber auch oft im Hirn der
Europäer. Die Zirbel mit ihrem Sande, das Gewölbe mit seinen Theilen (^weissen Hügelchen, Seepferdefüssen
mit ihren Digitalionen, Klauen}, Scheidewand u. s. w. glichen ganz denen der europäischen
Völker. — Ohne genaue Messungen lässt sich dies indess nach dem blossen Ansehen dieser
Thcile gar nicht mit solcher Zuverlässigkeit behaupten. Nach dem, was ich für Alter und Geschlecht
bereils beigebracht habe, muss man vielmehr mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit das Ge-
gcnlhcil erwarten, wie ich denn auch von den Windungen des Negers es darthun werde. Das Ne-
gerhirn wird ohne Zweifel, wie in dieser Hinsicht, so auch im Betreff der Centralganglien, in den
Typus eines kindlichen Hirns oder eines Affenhirns hinüberspielen. Bei anderen Racen und Völkern
mögen die Differenzen, wenn dergleichen existiren, jedenfalls viel feiner seyn und eine entsprechende
feine Untersuchung bedürfen, um mit Sicherheit festgestellt zu werden.
III. Die Thiere.
Es ist bekannt, dass eigentliche Hemisphären in dem Thierreiche Anfangs gar nicht existiren,
dass vielmehr die Centralganglien die erste Grundlage des grossen Gehirns bilden, über welche sich
nach und nach die Hemisphären von vorn nach hinten hinwegwölben. Diese werden daher in ein um
so besseres Verhällniss zu ihnen kommen, je vollkommener das Hirn ist, je höher seine intellectuel-
len und moralischen Eigenschaften stehen. Ohne bis jetzt Erfahrungen über die Alters- und Ge-
schlechlsverschiedenheiten dieser Theile bei den Säugethieren und Vögeln gemacht zu haben, ausser
den schon angeführten, will ich nur bemerken, dass sie auch noch bei den Säugethieren zu den Hemisphären
in einem besseren Verhältnisse stehen als beim Menschen. Während Seh- und Streifenhügel
dem Gewichte nach bei uns nur 58 des grossen Gehirns beiragen, so erheben sie sich bei den
1) a. a. O. S. 59.
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