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Mit diesem allgemeinen Ergebniss scheinen dann wieder die Resultate zu harmoniren, welche
durch die Wägungen des kleinen Gehirns hinsichtlich des Wurms und der Hemisphären gewonnen
worden sind. Der Wurm hängt auf das Innigste mit den Bindearmen und durch sie mit der
Haube und also theils mit den Olivensträngen oder Yordersträngen des Rückenmarkes, theils mit denjenigen
Strahlungen des Stabkranzes zusammen, welche, nachdem sie den Sehhügel durchzogen haben,
in dem hinteren Hirnlappen und dessen Windungen sich verbreiten. Beide Theile aber, Wurm und
Hinterlappen, die sich in ihrer Thätigkeit genau auf einander beziehen müssen, sind im Weibe vollkommener
. Umgekehrt waren die Halb kugeln des Cerebellum beim Manne besser bedacht. Sie
stehen aber durch die aus ihnen hervorwachsenden Brückenarme und die Brücke, die sie bilden,
mit den Pyramiden oder den Seitensträngen, und folglich weiter mit der Basis der Hirnschenkel und
durch deren Verbreitung mit den Streifenhügeln und denjenigen Strahlungen des Stabkranzes in innigerem
Zusammenhange, welche sich im Slirnhirn verbreiten (vielleicht bis zur Centraifurche rückwärts
?). So stehen also auch am männlichen Gehirn diejenigen Theile des grossen Hirns und des Hinterhauptshirns
in genauem anatomischen Connex, welche beide in diesem Geschlechte hier und dort
bevorzugt sind. Das ist das Eigentümliche der Brücke, dass sie nicht bloss, wie es fast nur der
analoge Balken thul, Commissur der Hemisphären des kleinen Gehirns ist, sondern auch diese Theile
zur lebhaften Wechselwirkung mit dem Hirnschenkelsysteme geschickt macht, mag dieses durch unmittelbaren
Uebergang der Fasern geschehen oder durch blosses Aulliegen der Längenfasern der Pyramiden
und durch Einschliessen zwischen ihre oberflächliche und tiefe Lage von Querfasern und durch
die aus der grauen Substanz der Brücke neu entstehenden Fasern für die Hirnschenkel und also vielleicht
auch durch eine mittelst blossen Contacts herbeigeführte Polarisirung. Das Stirnhirn wird elek-
trisirt durch die Hcmisphaeria cerebelli, das Scheitelhirn durch den Wurm und seine Bindearme.
Siebentes Kapitel.
Ra^enverschiedenheiten des grossen Gehirns.
Nachdem ich oben, soweit es bei der jetzigen spärlichen empirischen Grundlage möglich war, einiger
nationaler Verschiedenheiten des Hinterhauptshirns gedacht habe, will ich hier Hand anlegen auch an
das Windungssystem des grossen Gehirns. Jedoch beschränkt sich die empirische Basis hier ebenfalls
nur auf wenige Beobachtungen Anderer, so namentlich auf die mit gewohnter Treue gelieferten Abbild
singen des Hirns des Negers und einer Buschmännin von Tiedemann und auf die eben so
vortrefflichen Abbildungen des Gehirns des Orang-Utang, des Chimpanse von Schröder
van der Kolk, Yrolik und Tiedemann. Ausserdem habe ich in Ermangelung von Nationalhirnen
mir dadurch zu helfen gesucht, dass ich Wachsabdrücke der Schädelhöhle eines Caraiben, Kosaken
u.s. w. machte, welche wenigstens manche Windungen hervortreten und beurtheilen lassen.
Ausser der geringeren Asymmetrie der W in dun gen und dem an seiner Wurzel dickeren
und aufgetriebeneren Stiele des Hirnanhanges am Negerhirn zeigt die Abbildung
von Tiedemann noch Folgendes:
1) Gehen wir von der Fossa Sylvii aus, so steigt sie bei dem Alfen, selbst beim Chimpanse,
noch sehr schief herab, weniger beim Neger, und fast horizontal steht sie längs dem oberen Rande
der Schlippe beim Europäer. Die Folge davon ist, dass die unterste oder erste hintere Längenwindung
, welche zum oberen Rande des Schläfenlappens herabläuft und damit die Sylvische Grube von
unten her begrenzt, dort ebenfalls eine hängende Stellung hat, beim Europäer eine mehr wagerechte.
2) Die Central für che steht beim Chimpanse senkrechter, ja unterwärts sogar etwas vorwärts
geneigt. Am Negerhirn steht sie wenigstens unten auch noch senkrecht, um sich dann beim Auf-
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