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und Malerialisten einen todten, unfreien Mechanismus, eine absolute Herrschaft der Molecüle annehmen
wollten, zwar einfacher, darum aber nicht natürlicher.

Soll aber die Frage nach dem Sitze unserer Seele bedeuten: Wo ist der Sitz unseres geistigen
Lebens QA. h. unserer Empfindungen und empfindungslosen Wahrnehmungen oder Reizungen},
so ist es auch hier sehr die Frage, ob wir von einem besonderen Sitze dieser Seele in unserem Körper
reden dürfen. Vielmehr ist dieses unser geistiges Leben über unseren ganzen Organismus verbreitet
und steht wiederum mit dem geistigen Athem, der überall die Natur durchdringt, in innigster
Verbindung. Der Mensch hat vor den übrigen Naturkörpern, vor Thieren und Pflanzen und den unorganischen
Körpern nur die grössere Vollkommenheit der Beseelung voraus, er ist aber nicht das
einzige geistige Geschöpf par excellence. Gedanken hat auch das Thier, und vom Affen herab bis
zur infusoriellen Monade wird der Kreis der Gedankenwelt nur immer kleiner, die Empfindungen immer
schwächer und niederer, und am Ende löst sich in der Pflanze auch die Sinnesempfindung und das Ge-
meingefühl auf in die empfindungslose Reizbarkeit» Wer wagt es nun zu sagen: Bis hierher und
nicht weiter! In der Wissenschaft ist es nicht Sitte, gordische Knoten zu durchhauen!

Wie nun in der Natur im Grossen, so in unserem eigenen Körper im Kleinen! Nicht das Hirn ist
der alleinige Sitz des geistigen Lebens, selbst nicht das Nervensystem, sondern alle Organe tragen seine
unverkennbaren Spuren an sich, in verschiedenem Grade der Vollkommenheit. Die Reizbarkeit ist auch
hier die erste Grundlage des geistigen Prozesses in uns. Geköpfte Thiere geben hiervon Zeugniss,
die Thätigkeit des Rückenmarkes, Thiere ohne Nervensystem und die nervenlosen Keime organischer
Geschöpfe, aus denen sich doch das Gehirn und mit ihm unsere Gedanken entwickeln, statt wie ein
Dens in machinam von aussen hinein zu schlüpfen. Ohne diese Saat dunkler Regungen und Reizungen
wären die goldenen Früchte unseres höheren Geisteslebens niemals gereift. Durch viele
Gänge und Stufen eines psychischen Mechanismus arbeitet und läutert sich diese unsere ganze Maschine
durchdringende Seele herauf bis zu ihrer obersten Sprosse, bis zur Vernunft. Und wiederum
wankt auch mit jenem Fundamente das ganze stolze Gebäude unseres Geistes. Selbst mit jeder Nacht
sinken wir dahin zurück, woher wir gekommen, und das ephemere geistige wie körperliche Leben
zieht sich auf seine ersten Wurzeln zusammen, um am folgenden Morgen mit neuem Lebensmuthe
wieder emporzuwachsen. In süsser Gedankenverwirrung weicht unser Geist zuerst zurück aus den
Hemisphären in die Kette der grossen Hirnganglien. Auch sie aber werden gelähmt, Streifenhügel,
Sehhügel und Vierhügel vermögen weder den Blick mehr zu beleben, noch die Glieder zu stützen, das
Augenlid sinkt, verlassen von dem gelähmten Augenmuskelnerv, herab, das Gleichgewicht verliert
sich. Nur die ewig wache Quelle unseres Lebens, das verlängerte Mark, bleibt unversehrt von diesem
Rückgange. Gleich dem Herzen das prhnum movens und ultimo moriens erhält es noch das Spiel der
vitalen Rumpfmuskeln und die vitalen Prozesse selbst. Ueber diese Grenze hinaus, und es erfolgt
Ohnmacht und Tod.

Mit Einem Worte, die Seele, als die Fähigkeit der Wahrnehmung in ihren verschiedenen Abstufungen
, von der Idee herab bis zur Reizerapfänglichkeit ist ebenfalls ein Gemeingut der Körperwelt
und aller unserer Organe. Ober besser: der Körper und die Seele in diesem Sinne ^GeisQ sind nicht
Stamm und Blüthe (Okcn), nicht niedere und höhere Stufen Einer Kraft, sondern die notwendigen
und deshalb untrennbaren polaren Darstellungen jener allgemeineren Indifferenz, welche ich oben die
Seele genannt habe, die zweifachen, nach entgegengesetzten Richtungen aus einander gehenden und
deshalb gleichzeitigen Erscheinungen unseres Ich. Kein Gedanke existirt ohne Körper, kein Geist
trennt sich jemals von ihm oder verbindet sich mit ihm, sondern beide haben eine unauflösliche Verbindung
mit einander. Alle Materie ist eine beseelte, und alle Seelenthätigkeit hat einen
materiellen, ihr inhärirenden Begleiter.

Hieraus folgt aber weiter, dass die Verbindung beider keine causale ist. Keines dieser zwei
Reiche des Lebens geht oder wirkt unmittelbar hinüber in das andere oder ist ein Pro du et desselben
. In diese fehlerhafte Annahme verfallen Spiritualisten und Materialisten. Indem ich dieses schreibe,

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