Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/huschke1894/0174
162

fallen mir die „Bilder aus dem Thierleben von C. Vogt" in die Hände, welche in unserer Streitfrage
als neuestes Musler dienen können. „Wie die Function eines Muskels Zusammenziehimg ist," heisst
es darin, „wie die Niere Harn absondert und der Magen verdaut, auf gleiche Weise erzeugt das
Hirn seine Gedanken, Bestrebungen, Gefühle." W er erkennt nicht, dass dieses Gleichniss die bekannte
Logik vom grimmigen Löwen enthält und dem neuen Leben, in dem wir wandeln sollen. Auch das
Gehirn hat ja seine körperliche Function. Sie hätte mit der Verdauung oder Gallenabsonderung
verglichen werden müssen, statt dass hier auf ein fremdes wissenschaftliches Gebiet übergesprungen
wird und ganz entgegengesetzte Dinge, Gedanke und Absonderung in die Verbindung der Gleichheit
gebracht und zusammengeworfen werden. Vielmehr würde das Gleichniss nach gesunder Logik
also lauten müssen: Wie Niere, Magen und Muskel ihren chemisch-elektrischen Prozess, d. h. ihre
Absonderung, Verdauung, Zusammenziehung haben, so erzeugt auch das Hirn seinen eigenthüm-
lichen Nervenelectricismus.

Nicht anders geht es der Seele bei den Materialisten! Die Seele ist ihnen lediglich ein Collectiv-
begrhT, ein Collectivname von Nervenprozessen, also nicht viel mehr, als ein Kehrichthaufen, der
ebenso aus einander stäubt, wie er zusammengekehrt worden ist, dem das Band organischer Entwicke-
lung aus einer realen Einheit mangelt.

Zwei Geister bekämpfen sich in der Wissenschaft, wie im Leben, der zersetzende und der bildende
. Jener duldet kaum Conglomerate, Alles ist ihm vielmehr eine Vielheit, und die Einheit
hinkt höchstens, hinter den Wagen gespannt, hinterdrein als Collectiv. Dieser umgekehrt geht
gerade von der Einheit aus und alles Andere ist ihm Blatt und Blüthe Eines lebendigen Stammes.
In der Physiologie können diese Gegner in der Natur das Princip der Causalität und der Entwicklung
heissen. Dort ist unser Leben nicht nur ein von aussen erzwungener Zustand (Brown),
sondern sogar ein Haufen, eine Fusion äusserer, physikalischer Prozesse, die sich zu unserem Leibe
zusammengefunden haben, hier ist es eine nothwendige Entwicklung von Innen heraus, und die
äusseren Potenzen werden benutzt, um die Idee des Ganzen in seinen Erscheinungen darzustellen.
In der Naturwissenschaft tritt uns jenes Princip entgegen als der Materialismus unserer Zeit. Er vergöttert
die Natur nur insoweit, als sie zerfallen ist und warnt vor jeder höheren, allgemeineren Auffassung
, indem er seinen Erbfeinden, Aesthetik und Theologie, Vorschub zu leisten befürchtet. Ein
Ragout ist ihm lieber als ein Apollo!

Weder die Seele, noch auch die geschmähte Lebenskraft sind Collectivnamen, ja auch selbst
nicht Summen, Resultanten aller einzelnen körperlichen Tliätigkeiten, sondern eben jenes schaffende
Princip, jene reale Kraft des Ganzen, die sie zusammenhält, wie es sie erzeugt hat. Nehmt sie
hinweg, so zerfallen Thiere und Pflanzen in Bewegungen ohne Substanz und Einheit. Vielmehr ist
unser körperliches und geistiges Leben die allmählig hervortretende und sich entfallende Idee unseres
Ich, die Nervenprocesse aber sind die treuen Begleiter seiner Gedanken, Gefühle und Strebungen
und weder Producte, noch Ursachen derselben.

Aus Nervenströmungen wird weder Gedanke noch Empfindung erklärt und eben so wenig erzeugt.
Wir verfolgen die Bewegung des Lichtstrahles durch unser Auge bis zur Netzhaut. Hier pflegen wir
den logischen Faden kurz abzureissen und sagen: Hier, auf der Nervenhaut des Auges, entsteht uns
das farbige Bild des Gegenstandes, das ja eben schon ein Element der Empfindung ist. Wir überspringen
die unübersteigliche Kluft zwischen Körper und Geist und versetzen uns, indem wir den Knoten
durchhauen, plötzlich auf den geistigen Boden. Wir haben es dann freilich leicht, weiter zu
gehen und uns auf dem usurpirten Gebiete wohnlich einzurichten, indem wir vom Bilde zur Vorstellung
und von da zum Begriff und zur Idee fortschreiten. Logischerweise dürften wir nur sagen: Die
elektrischen Bewegungen des Lichtäthers pflanzen sich von der Netzhaut fort durch die Fasern des
Sehnerven zu den Sehnervenhügeln des Gehirns und weiter, modificirt oder nicht, sie behalten aber
auf diesem Wrege immer ihre räumliche, körperliche Natur.

Wenn die Empfindungen also keineswegs aus Nervenprozessen entstehen, so entsprechen


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/huschke1894/0174