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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/huschke1894/0175
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sie ihnen wohl. Unsere Gedanken stehen in keinem ursächlichen Verhältnisse zu den Hirnfunctio-
nen, sind weder sie selbst — weil das Hirn dann zweierlei Functionen haben würde, wie kein anderes
Organ (nach der gewöhnlichen Annahme) — noch ihre Producte, nicht die ätherischen Ausflüsse der
Materie überhaupt, sondern sie sind ihre nothwendigen Begleiter. Was mit einander entsteht, ist
eben nicht durch einander. Wie etwa die Farbe sich verhält zu den Lichtschwingungen, der Schall
zu den Schwingungen elastischer Flüssigkeiten, so der Gedanke zu den neuroelektrischen Oscillationen
der Hirnfasern. Farben oder Töne und die damit genau zusammenhängenden Schwingungen sind
gleichzeitige Phänomene. Jene entstehen nicht, nachdem so und so viel Schwingungen in der
Sekunde eingetreten sind, sondern sie sind mit ihnen gleichzeitig gegeben. Kein denkender Optiker
wird behaupten wollen, dass Yiolet aus 257 Millionen Aetherschwingungen entsteht, kein Akustiker,
dass das grosse C erst entsteht, nachdem seine 66 Luftschwingungen gegeben sind, sie erscheinen
vielmehr zugleich mit ihnen. Es sind Zustände, die mit einander kommen und gehen und folglich
nicht Ursache und Wirkung, weil diese ein Nacheinander, kein Miteinander bedingen, und lassen
sich daher auch nicht aus einander ursächlich erklären. Die Farben sind gleichsam die geistigen Axiome
des Lichts, die wohl eine Parallelisirung mit jenen Zahlenverhältnissen und eine Yergleichung unter
sich zulassen, aber keiner weiteren Erklärung fähig sind. Ueberhaupt hat jedes Ding seine mathematische
und seine ästhetische Seite. Jenes ist die natürliche, dieses die geistige. Dort herrscht Bewegung
, hier gesetzmässige Veränderung. Eine allein erfasst nur die Hälfte des Gegenstandes.
Wenn daher eine Art Materialismus sogar behauptet: die Farbe ist eine Anzahl Aetherschwingungen,
so wirft er uns damit einen Knochen vor die Füsse, seine Farben sind nur Gerippe ohne Fleisch! —

Wie die Farbe aber, so der Gedanke. Er ist begleitet von einer Nervenbewegung, entsteht
aber nicht aus ihr, er ist also auch nicht die Folge ihrer körperlichen Thätigkeit, nicht die
Function, ja selbst nicht die Eigenschaft des Gehirns, sondern ihr ästhetischer Begleiter. Unsere
Gedanken und Gefühle sind, wie das Gehirn selbst, wohl Eigenschaften, Verrichtungen unserer
Seele Qa\s Einheitsprincip), wie das Gehirn und seine Bewegungen auch, aber nicht die Resultate
der Hirnthätigkeiten, und finden in diesem also wohl die nothwendigen gleichzeitigen Bedingungen,
aber nicht die Gründe oder Ursachen ihrer Existenz.

Der Zusammenhang beider ist darum aber statt lockerer, nur um so inniger, wenn auch nicht
auf die vom Materialismus behauptete Art, insofern sie nicht nur mit einander kommen und gehen,
sondern auch einander entsprechen, gleichwie eine bestimmte Farbe einer bestimmten Wellenlänge der
Aetherbewegung genau correspondirt. Wie Zeit und Raum mit einander exisliren, ohne in einander
überzugehen oder auf einander zu wirken, wie sie unauflöslich verschmolzen sind, so dass dieser ohne
jene gar nicht zu denken ist, so Geist und Körper, Gedanke und Hirnbewegung. Ihr Flechtwerk ist
so innig, dass zu jedem Gefühle, zu jedem Bilde, zu jeder Idee eine Reihe Fibern gleichsam zuckt,
ohne aber von ihnen angeregt worden, oder umgekehrt, etwa ihre Ursache zu seyn. Ja, wir nehmen
auch so wenig die neuro-elektrischen Bewegungen unseres Hirnes wahr beim Empfinden und
Denken, als die Erzitlerungen des Lichtäthers, die eine Farbe begleiten. Die Farbe selbst aber ist
nicht Product unseres Geistes, sondern das geistige Element des Lichtes, das Objectiv-Geistige, das
in ursächliches Verhältniss zu der Farbenerscheinung unseres eigenen Geistes tritt. Leugnen wir
nämlich die Objeclivilät. der Farbe, so müssen wir auch folgerichtig die des Schalles und aller anderen
Sinneserscheinungen in Abrede stellen und wiederum folglich die Existenz der ganzen Natur, welche
ja nur auf den sinnlichen Erscheinungen beruht. Selbst die ganze Raumwelt und Bewegung mit [ihren
Gesetzen wären dann ein blosses Hirngespinst, da jede Formvorstellung auf Licht und folglich auf
Farben beruht.

Mit dieser Ansicht über die Verbindung des Körpers und Geistes brechen wir die Brücke ab
zwischen uns und dem Materialismus, aber auch die Brücke zu der althergebrachten, mehr spirituali-
stischen Meinung, dass Geist und Materie, Gedanke und Naturerscheinung total fremde Gebiete seyen
in dem Grade, dass unsere Gedanken den Körper nur als Instrument benutzen, um sich in Thaten

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