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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/huschke1894/0178
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Drängen wir endlich den Namen Seele noch weiter vorwärts, in einen noch specielleren Begriff
zusammen, verstehen wir unter Seele die Region des ganzen höheren geistigen Lebens, unsere Gedanken
, die man ebenfalls das Seelenleben, die Seelenthätigkeiten zu nennen pflegt, so sind die
Organe des Gehirns als der Sitz auch dieser Seele zu bezeichnen und der Mittelpunkt desselben würde
auch den Mittelpunkt für den Zusammenfluss aller dieser höheren psychischen Lebensgeister darstellen.

Schon die körperliche Empfindung wird aufgehoben in dem Theile unseres Körpers, dessen Nervenverbindung
mit dem Gehirn unterbrochen ist, mag der Nerv unterbunden und zusammengedrückt
seyn oder durchschnitten. Die Folge ist immer Lähmung des Gefühls, sowie ein Nerv seine Reizung
nicht mehr zum Gehirn fortpflanzen kann. Man kann bekanntlich ein solches Glied stechen, brennen,
gänzlich abschneiden, ohne dass Thier oder Mensch dabei Zeichen von Schmerz äussern. Noch mehr
aber! Ein leiser Druck auf das Gehirn, und der Mensch fällt in Schlaf und erwacht mit Aufhebung
des Druckes wieder, um vielleicht in der Periode seiner Rede da zu sprechen fortzufahren, wo er in
Betäubung gesunken war, ohne dass selbst jener Druck von Schmerz begleitet gewesen wäre.

Es liegt also im Hirn der Tempel des Höchsten, was uns interessirt; denn was wären wir ohne
Empfindung? Unser Leben, unsere ganze Existenz ist für Jeden von uns nur so viel werlh, als wir
sie empfinden. Ohne Empfindung würde es uns völlig gleichgültig seyn, ob wir existirten oder nicht.
Alle unsere körperlichen und geistigen Genüsse haben ihren räumlichen Boden im Gehirn und alle unsere
Thaten, alles Grosse und Edle, wie alles Kleine und Schlechte treibt, um mit Herder, Reil
und Treviranus zu reden, hier seine ersten Wurzeln. Ja, das Schicksal des ganzen Menschengeschlechtes
ist an die 65—70 Kubikzolle Hirnmasse eng geknüpft und die Geschichte der Menschheit
ist darin wie in ein grosses Buch voll hieroglyphischer Zeichen eingetragen. Aus jeder Falte des ungeheuren
Gewandes, in welches unser Planet gehüllt ist, leuchtet der Finger dieses Organes hervor, das
die letzte und höchste Frucht, das die Krone ist von den tausendjährigen Umwälzungen seiner Entwicklung
. Was hier sein Daseyn empfängt, greift selbst der Natur in die Zügel, flicht Willkür
in die Notwendigkeit und nöthigt sie, die Gedichte menschlicher Phantasie als neue Folgereihen in
das Tableau ihrer eigenen Entwickelung aufzunehmen. Hier entsprang die Idee des Belvederischen
Apollo. Ohne dieses marmorweisse Gewölbe, das seinen Bogen hoch über die Quellen des sinnlichen
Lebens hinspannt, wäre Homer's Iliade, Kepler's Zoonomie der Gestirne nicht. Was in diesen
mäandrischen Hallen unter demselben oscillirt, geht mit Blitzesschnelle von Einem auf Alles über,
versenkt die Seele in das All und das All in die Seele. So entstehen die Colosse unter den Menschen
, die das Ruder der Staaten ergreifen oder sich allein, wie Alexander, einem ganzen Welt-
theile entgegenstellen. Eine unergründliche Tiefe von Möglichkeiten liegt hier verborgen!

Wen sollte daher dieser Sitz der Seele nicht tief ergreifen? Staunend stehen wir vor dem Hei-
liglhume, worin die geistigen Kräfte wirken und weben, vor den räthselhaften Gestalten, die bei allem
Leben und Weben, bei allem Thun und Treiben des Menschengeschlechts von Anbeginn bis auf unsere
Zeit ihr geheimnissvolles Spiel getrieben haben. Sie sind für den Naturforscher, was die Hieroglyphen
der grauen Vorzeit sind für den, der die Dunkelheit des Alterthums zu erhellen sucht. Dieser steht
sinnend vor einer Schrift , mit deren Entzifferung ein Licht in der Geschichte der Vergangenheit angezündet
seyn würde, er sucht den Schlüssel und kann nicht ablassen, ihn zu suchen, wie verborgen
derselbe auch seyn mag. So reizen auch jene wunderbaren Gestalten des Gehirns immerfort zu ihrer
Betrachtung den, der sie einmal kennen gelernt hat.

Mag es vermessen seyn, in den Tempel der Seele eindringen zu wollen, wie lockend und unausweichlich
ist doch die Aufgabe. Die Gestalten des Gehirns sind die höchsten der Erde, sie sind aber
bis jetzt noch mehr wunderbar als schön. Ihre hohe Schönheit und Zweckmässigkeit wird uns erst
vollkommen klar werden, sobald wir bekannt sind mit ihrer körperlichen und geistigen Bedeutung.
Etwas Geheimnissvolles ist wohl reizend, aber nicht schön. Nur das Wahre ist schön und das Klare

Harles' und Ritler's Neuem Journal d. ausl. med.-chir. Lit. Bd. 4. S. 76 von Fanzago; das doppelköpfige Kind in der
Salzburger med. Zeitung. 1793. ßd. 3. S. 432. Harles' u. Ritter's, Neues Journ. d. ausl. med.-chir. Lit. ßd. 5. S. 125.
Harles, Jahrb. d. deutschen Med. u. Chir. Bd. 3. 8. 19,


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