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einem wohlgebildeten Menschen haben. Vitruv erzählt
auch, welche Verhältnisse aus dem menschlichen Körper
zu entnehmen sind; so verhält sich das Gesicht - - vom
Kinn bis zu den unteren Haarwurzeln — zu der Gesamt-
höhe = 1 : 10 usw. (S. 65 9).
„Wenn die Natur also den menschlichen Körper so
zusammengesetzt hat, dass seine Glieder in den Maßverhältnissen
der Gesamtgestalt entsprechen, scheinen
die Alten recht gehabt zu haben, indem sie auch bei der
Ausführung der Bauwerke ein genaues Maßverhältnis
zwischen den einzelnen Gliedern und der Erscheinung
des Ganzen beobachteten" (S. 66 9).
Diese der menschlichen Figur entnommenen Zahlen
werden zu einer Art abstrakten Zahlenaesthetik, der
Vitruv einen ganzen Abschnitt widmet.
„So haben sie auch das Maßsystem, das doch wohl
bei allem Bauen notwendig ist, von den Gliedern des
Körpers hergenommen, als Finger (Zoll), Handbreite,
Fuß, Elle, und diese Maße auf eine Vollkommenheitszahl
[numerus perfectusj, griechisch tsXsioc, verteilt. Als vollkommen
betrachten aber die Alten die Zahl zehn. Denn
von den Händen ist die Zahl der Zolle, von der Handbreite
der Fuß gefunden worden" usw. (S. 66 17).
„Demgegenüber haben die Mathematiker behauptet,
die Zahl sechs sei die vollkommene, weil diese Zahl
Einteilungen besitzt, welche mit ihren Berechnungen
nach der Sechszahl übereinstimmen" (S. 67 i).
„ Auch weil der Fuß des Menschen ein Sechstel seiner
Höhe beträgt und also die Bestimmung der Höhe des Körpers
durch sechs Fuß vollkommen gemacht wird, haben sie
diese Zahl als die vollkommene angenommen" (S. 67 17).
Es kann nun dahingestellt bleiben, ob Vitruv recht
mit seiner Behauptung hat, die wohlgefälligen Zahlen-
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