http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/jolles1906/0036
28
Wäre die Höhe der Säulen rein symmetrisch berechnet
worden, so würden sie trotzdem einen unschönen
Anblick gewähren, weil das menschliche Auge nicht
immer das nach bestimmten Zahlen berechnete Verhältnis
als solches empfindet. Wo also das Auge täuscht,
muss die Symmetrie so lange temperiert werden, bis sie
in der Gesamtkomposition den Eindruck wirklicher Symmetrie
macht.
So werden S. 80 6ff. die Verhältnisse zwischen der
Höhe der Säulen und der des Epistyls in einer ionischen
Tempelfront angegeben. Auch hier sind die Aenderuugen
gleicher Art, wie bei dem Durchmesserverhältnis des
unteren und oberen Schaftes angegeben wurde. Sind
die Säulen 12—15 Fuß hoch, so beträgt die Höhe des
Epistyls die Hälfte des unteren Säulendurchmessers, also
eine rein symmetrische Berechnung nach dem modiäus.
Werden die Säulen aber höher, so tritt eine neue Berechnung
ein, nach der Höhe der Säulen selbst. Sind
sie 15—20 Fuß, so wird dieses Mal die Höhe der Säule
in dreizehn Teile geteilt und die Höhe des Epistyls beträgt
einen Teil; sind sie 20—25 Fuß, so ist sie ein
Zwölftel der Säulenhöhe usw. Je höher die Säule, um so
höher auch das Epistyl. Zur Erklärung fügt Vitruv hinzu:
„Je höher der Blick steigt, desto schwerer durchschneidet
er die Dicke der Luft, daher gibt er, wenn er sich im
Höhenraum verliert und seine Kraft gebrochen ist, dem
Verstände nur unsicher die Größe der mocluli wieder.
Deshalb muss man den Gliedern der Symmetrie immer
eine berechnete Ergänzung zu teil werden lassen, damit,
wenn die Werke an höheren Stellen liegen oder selbst
sehr groß sind, auch der Größe Rechnung getragen wird."
Nicht nur durch die Täuschung des Auges, sondern
auch durch äußere Umstände kann aber der Baumeister
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/jolles1906/0036