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Dichter, Publikum und Schauspieler geben also zu,
dass alle Schöpfungen der musischen Kunst Nachahmungen
und Darstellungen sind. Folglich muss jemand,
der sich bei der Beurteilung nicht irren will, wissen, was
jede einzelne dieser Schöpfungen darstellt. Denn wenn
er das Dargestellte nicht in seinem Wesen kennt und nicht
weiß, was mit dem Kunstwerk beabsichtigt wurde und wovon
es in Wahrheit ein Abbild sein soll, kann er auch das
Gelingen oder Ver fehlen der Richtigkeit dieser Nachahmung
nicht beurteilen. Versteht er dieses nicht, so kann er auch
nicht erkennen, ob es gut oder schlecht sei (Ges. 668 C. D).
Zur Verdeutlichung werden hier als Beispiel die
Nachbildungen für das Auge herangezogen (arescxocdat
xata tt]v 6'cjjiv (Ges. 668 D). Wenn jemand bei diesen
nicht wüsste, was irgend ein nachgeahmter Körper
eigentlich sei, so würde er nie beurteilen können, inwieweit
die Arbeit richtig wäre. Er kennt die Zahlenverhältnisse
des betreffenden Körpers nicht und weiß
nicht, ob jeder von den Teilen die richtige Lage hat.
Er weil) nicht, wie groß die Zahlen sind und welche
Stücke bei richtiger Anordnung zusammenliegen müssen,
außerdem kann er die Farben und Formen nicht beurteilen
und weiß überhaupt nicht, ob alles dieses verkehrt
gemacht sei (Vi xiq %cä ev lobzoic. dfvooi, tcov ;xe;.u-
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Ges. 668 I). E). Jemand, der nicht weiß, was und wie
beschaffen das nachgebildete Wesen ist, kann auch über
die genannten Sachen nicht urteilen.
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