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"Vorwort-
Die Untersuchungen, deren Ergebnisse in der vorliegenden Arbeit veröffentlicht werden, begannen im Herbste
1869 und wurden mit nur geringen Unterbrechungen bis zur jetzigen Zeit fortgesetzt. Den Ausgangspunkt
dieser Untersuchungen bildete eine Reihe von Versuchen, welche den Zweck hatten, die Frage von dem Zusammenhang
der Subarachnoidalräume unter sich sowie der übrigen Saftbahnen des Gehirns und Rückenmarks
zu erörtern. Wir kamen indessen bald zu Resultaten, welche uns aufforderten, den Kreis unserer Forschungen
mehrfach zu erweitern. Es gelang uns durch Injectionen vom Subarachnoidalraum des Rückenmarks aus nicht nur
sämmtliche Subarachnoidalräume des Gehirns, sondern ausserdem die Hirnhöhlen und die inneren Saftbahnen der
Hirn- und Rückenmarksubstanz zu füllen; ferner erhielten wir dabei einen Abfluss der serösen Flüssigkeit dieser
Räume nach dem Blutgefässsystem hin durch die Arachnoidalzotten; wir fanden, dass die genannten Räume auch
mit dem übrigen Lymphbahnsystem des Körpers sowie mit den Safträumen der höheren Sinnesorgane in directer
Verbindung stehen. Endlich erhielten wir aber auch bei diesen Injectionen Füllung der vorher nicht beachteten
Saftbahnen des peripherischen Nervens}^stems. Den zwischen Dura mater und Arachnoidea befindlichen Raum
— den Subduralraum — fanden wir von den Subarachnoidalräumen und den inneren Saftbahnen der Centraiorgane
ganz abgetrennt und erst peripherisch mit ihnen zusammenhängend, indem nämlich dieser Raum ebenso durch die
Arachnoidalzotten nach dem Blutgefässsystem hin Abfluss hat, und ausserdem mit dem peripherischen Lymphgefäss-
system und mit den Saftbahnen der höheren Sinnesorgane sowie mit denjenigen der peripherischen Nerven in Verbindung
steht. Durch die Injection der peripherischen Nerven gelang es uns nicht nur die erwähnten Saftbahnen
derselben zu finden, sondern wir wurden auch zu einer eingehenderen Erforschung des Baues des peripherischen
Nervensystems im Allgemeinen geführt. Da wir bei diesen Untersuchungen die Anordnung und den Bau der betreffenden
Theile zu erforschen suchten, wurden wir immer mehr auf die brennende Frage der Histologie, diejenige
vom Bau des Bindegewebes, geleitet; dieser Frage haben wir deswegen umfassende Studien gewidmet. In den Häuten
des Gehirns und Rückenmarks fanden wir Prototypen des lockeren, saftraumreichen ebenso wie des festen, fibrösen
Bindegewebes; in den peripherischen Nerven und den Pacinischen Körperchen erkannten wir eine Anordnung des
Bindegewebes, welche wir als das lamellöse oder umscheidende beschrieben haben; im Opticus und in den Centraiorganen
untersuchten wir noch andere Typen dieses Gewebes. Um aber die gewonnenen Ergebnisse auch in weiterer
Ausdehnung eingehender zu prüfen, zogen wir noch andere Organe und Organtheile in den Kreis der Untersuchungen.
Besonders widmeten wir dem Bau der Sehnen genauere Studien. Ferner suchten wir die Anordnung des Bindegewebes
und die Saftbahnen der äusseren Haut u. s. w. zu eruiren.
Bei einem solchen Umfange unseres Forschungsgebietes nahmen natürlicherweise die Untersuchungen eine
geraume Zeit in Anspruch, um so mehr als wir uns bemüht haben, jede der hauptsächlichen Fragen mit möglichster
Sorgfalt zu behandeln. Zwar hängt bei histologischen Studien sehr viel vom Auge des Forschers selbst ab; viel
beruht aber auch auf den von ihm angewandten Methoden. Durch die eine Methode kann man ja oft ein Resultat,
durch eine andere ein mehr oder weniger verschiedenes erhalten. Deswegen ist bei solchen Untersuchungen eine
controllirende Prüfung mittels verschiedene]- Methoden oder eine Combination derselben von sehr hohem Werth, und
wir versuchten immer nach diesem Grundsatz zu arbeiten. Es dürften wohl, wenn dieser Grundsatz eine allgemeinere
Beachtung fände, in der Wissenschaft nicht gar so viele verschiedene Ansichten hervortreten.
Freilich können in keiner menschlichen Arbeit Fehler vermieden werden; Alles ist ja in gewissem Grade
subjectiv. Indessen hängen ohne Zweifel manche Fehler davon ab, dass der Forscher seine Untersuchungen oft
zu schnell abfertigt und die Resultate derselben veröffentlicht. Der Eifer, mit welchem die Forschungen in unserer
Zeit betrieben werden, bringt zwar viel Schönes zu Tage, aber auch viel Unreifes; diese unreifen Früchte zu
beseitigen kostet dann oft viel mehr Mühe, als die Arbeit, welche sie hervorrief, und weit mehr als sie verdienen.
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