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am Krankenbett sowie durch Experimente am lebenden Thier zu stützen suchte. Er sah in der Dura »einen mem-
branösen Muskel eigentümlicher Art, dreibäuchig und viersehnig». »Zwei dieser Muskelbäuche sind obere und enthalten
das Grosshirn, der dritte liegt unten und hinten und umkleidet das Kleinhirn». Dieser musculöse Apparat ist in
fast beständiger oder schnell und rhytmisch wiederholter Zusammenziehung begriffen, um das Gehirn und seine
Di •üsen zu comprimiren. Die besonderen Fibergruppen der Dura wurden von Pacchioni, dieser Auffassung gemäss,
in eingehender Weise beschrieben. Im Sinus longitudinalis fand er und schilderte die nach ihm genannten Glandulae
Pacchioni, die er als lymphatische Drüsen ansah, und von welchen, nach ihm, fadenartige Ausführgänge zwischen
den Fasern der Dura verlaufend und der Pia anhaftend, in den Zwischenraum zwischen den beiden Häuten sich
öffnen (S. unten). An einigen Stellen spricht er von einer in der Pia befindlichen Lympha, welche die Räume zwischen
den Windungen des Gehirns erfüllt; sie findet sich auch im Vertebralcanal rings um das Rückenmark. In der Pia
verlaufen nämlich Lymphgefässe, welche die Blutgefässe begleiten; besonders die Furchen werden von ihnen mit
Feuchtigkeit versehen. Ueberall wo die Pia das Gehirn bekleidet, sowohl ihre Rindenwindungen, die Interstitiell, und
die an der Sichel liegenden Wände bis zum Corpus callosum, wird sie von Lymphgefässen begleitet; ob aber diese die
Marksubstanz des Gehirns durchdringen, konnte Pacchioni, trotz vieler Anstrengung, nie darthun. In den Ventrikeln
des Gehirns sammelt sich in gewissen krankhaften Zuständen eine Flüssigkeit; es scheint nothwendig zu sein, eine
etwaige Verbindung zwischen ihr und der Lymphe der Pia zu finden. Wahrscheinlicher Weise geht diese Lymphe,
sowie die Dura selbst, in das innere Ohr hinein; durch dieses sowie durch die Nasenhöhle hat sie auch einen Abfluss.
Früher wurde am Gehirn die Arachnoidea nicht von der Pia mater geschieden, sondern mit ihr zusammengeführt
. Varoli scheint der Erste gewesen, welcher sie, an der Basis des Gehirns, als eine besondere Membran
demonstrirt hat. Dann hat Casseeio sie dort abgebildet. An der Convexität des Gehirns aber hat Ruysch zuerst
diese »mittlere Membran, welche zwischen der Dura und der Pia liegt», durch Aufblasen nachgewiesen1); er nannte
sie »Arachnoidea» 2).
Nach Winslow 3) besteht die Pia mater des Gehirns aus zwei sehr feinen Blättern, von welchen das innere
der Oberfläche in allen den Furchen folgt, das andere, die sog. Membrana arachnoides, welches die Furchen überbrückt
, durch zelluläres Gewebe mit dem inneren nicht sehr innig und an einigen Stellen der Basis des Gehirns
sogar nicht befestigt ist. In beiden Blättern sieht man »eine andere Art feiner Dupplicature, welche Gefässe enthalten»,
die durch Injection oder Inflammation hervortreten. Der dritte Ventrikel des Gehirns, der »natürliche Canal» von
Winslow, »öffnet sich nach vorn in das Infundibulum unterhalb des Foramen commune anterius, durch welches es
auch mit den lateralen Ventrikeln communicirt». Am Rückenmark ist die Arachnoides von dem inneren Blatt der
Pia sehr distinkt und kann durch Aufblasen als eine durchscheinende Haut ausgespannt werden; sie adhärirt mehr
an dem unteren als an dem oberen Theil. Zu jedem Nervenstamme giebt sie in derselben Weise wie die Dura Verlängerungen
ab.
Die Hüllen des Centrainervensystems wurden allmählig in ihren gröberen anatomischen Verhältnissen genauer
beschrieben. So z. B. von Lieutaud 4). Von der Pia des Gehirns sagt er, dass sie aus zwei Lamellen besteht,
welche durch eine zelluläre Substanz vereinigt sind. Die äussere hat nur die Ausdehnung, welche nothwendig ist,
um das ganze Gehirn zu bedecken. Die innere senkt sich der Oberfläche folgend in alle Furchen der Windungen
hinein. Die Venen verlaufen in den Furchen und zwischen den beiden Lamellen. An der Basis des Gehirns trennen
sich die beiden Lamellen leicht von einander, wenn man sie erhebt. Das äussere Blatt wurde von einigen »als eine
dritte Hirnhaut» (tunica arachnoidea) angesehen. »Das zelluläre Gewebe, welches zuweilen seine Lamellen zu vervielfältigen
scheint, hat die Anleitung zu dieser unrichtigen Auffassung gegeben». Von der Pia des Rückenmarks
sagt er, dass sie »aus mehreren Blättern besteht». Er beschreibt die Ligamenta denticulata als Aufhängungsbänder
des Rückenmarks. Vor Allem muss aber bemerkt werden, dass er, wie Winslow u. A., die Oeffnungen zwischen
den Seiten Ventrikeln beschreibt und noch dazu angiebt, dass diese Ventrikel dadurch auch mit dem dritten Ventrikel
in Verbindung stehen. Er giebt eine gute Darstellung der makroskopischen Verhältnisse der Dura des Gehirns;
wir glauben bei ihm sogar eine Angabe über die von uns selbst und Trolaed neulich entdeckten, von Pacchioni-
schen Granulationen erfüllten Höhlen an den Seiten des Sinus longitudinalis gefunden zu haben (S. unten). Sonst
sagt er, wie auch viele andere, von der Dura, dass sie aus zwei Schichten besteht. Ueber die Dura spinalis
J) Nach Hallee: Bibliotheca anatomica. T. 1. 1774.
in historiam litterariam anatomes. Francofurti ad Viaclrum 1738.
1732. 4) Essais anatomiqucs. Paris 1742.
2) Nach einem Briefe an Goelicke 1697. S. Goelicke: Introdnctio
3) Exposition anatomique de la structure du corps hmnain. Paris
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