http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/key1875-1/0092
76
auch er die weiche Haut als eine einzige auf. Nach und nach lernte man doch die äussere Schicht derselben
(die Arachnoidea) als eine besondere Lamelle oder Membran zu unterscheiden. Wie wir in der obigen Historik hervorgehoben
haben, scheint Varoli der erste zu sein, der sie als solche an der Basis des Gehirns clemonstrirte,
Casserio bildete sie von dort ab; Rutsch gab ihr den Namen Arachnoidea, seitdem er durch Aufblasen ihre
Existenz als eine mittlere Membran, welche zwischen Dura und Pia liegt, auch an der Convexität des Gehirns nachgewiesen
hatte. Von nun ab bezeichneten also bis in die letzte Zeit die Benennungen Arachnoidea und Pia im Allgemeinen
ganz verschiedene Bildungen, sowie beide das, was man vorher nur Membrana tenuis oder Pia mater genannt
hatte, zusammenfassten, wenn auch fortwährend häufig die Benennung Pia in derselben ausgedehnten Bedeutung wie
vorher angewendet wurde. Durch Winslow, Lieutaud, Haller u. A. wurden nun die beiden Lamellen sowie ihr Verhalten
zum Ligamentum denticulatum näher beschrieben; es wurde also geschildert, wie die innere Lamelle, die Pia,
der Oberfläche des Gehirns mit allen ihren Einbuchtungen folgte, während die äussere, die Arachnoidea, gespannt über
die Furchen, dieselben überbrückend, verlief, ebenso wie die beiden Lamellen durch zelluläres Gewebe vereinigt sind
und die Venen in den Furchen zwischen die Lamellen gingen. Gegen die Auffassung von der Arachnoidea als
einer besonderen Haut trat Lieutaud auf. Haller schilderte, wie vollständig die Arachnoidea am Rückenmark von
der Pia getrennt und wie sie vom Rückenmark selbst weit entfernt ist, während am Gehirn die Arachnoidea,
ohne in die Furchen einzutreten, doch mit der Pia viel mehr verwachsen ist. Durch Einblassen von Luft sah er,
wie sie sich von der Pia erhob; grössere Höhlen entstanden am Gehirn nur dort, wo die zellulösen Verbindungsfasern
sparsamer waren u. s. w. Zu der ziemlich vollständigen Kenntniss, welche Haller von der allgemeinen Anordnung
der Pia und der Arachnoidea sowie vom Subarachnoidalgewebe besass, kommt noch hinzu, dass er oft in den Höhlen
zwischen Pia und Arachnoidea des Gehirns Wasser wahrgenommen hat, ebenso wie am Lumbaltheil des Rückenmarks,
wohin nach ihm dasselbe von den Hirnventrikeln hinabsteigen konnte; er nahm nämlich an, dass der vierte Ventrikel
eine Oeffnung nach aussen habe, wovon unten die Rede sein wird. Er glaubte, dass im lebenden Thier ein deutlicher
Dampf (Fumus), sei es aus der Aussenfläche des Gehirns oder aus der Ventrikelhöhle, ausdünstet. Er nahm
vorzugsweise die Ausdünstung aus den Ventrikeln in Betracht, welche sich nicht immer zu Wasser sammelt und
zuweilen den frischesten und unbeschädigsten Leichen mangelt. Diese Ausdünstung geschehe mittelst der Arterien,
sowie die Resorption mittelst der Venen. Er scheint im Allgemeinen angenommen zu haben, dass eine Ansammlung von
Wasser auf eine Erschlaffung der Venen in ihrem Dienste beruhe. Die Flüssigkeit ist nach ihm albuminös und coagulabel.
Obwohl also Haller der Entdeckung der Cerebrospinalflüssigkeit nahe stand und obwohl schon vor ihm Pv\cchion]
in dieser Hinsicht sehr beachtenswerthe Wahrnehmungen gemacht, sowie mehrere andere Forscher die Flüssigkeit als
eine pathologische Bildung gesehen hatten, kann es doch nicht bestritten werden, dass Cotugno die Ehre gebührt,
die eigentliche Entdeckung der genannten Flüssigkeit als einer constant und unter ganz normalen Verhältnissen
während des Lebens vorkommenden Bildung gemacht zu haben. Er zeigte zuerst, dass sie den grossen Zwischenraum
zwischen Dura und Rückenmark vom Occiput bis zum Sacrum, ebenso wie alle Zwischenräume zwischen Gehirn
und Dura erfüllt, und er fand, dass solche Zwischenräume immer an der Gehirnbasis vorhanden sind, nicht selten
aber und unter besonderen Verhältnissen bei alten Leuten und bei Kachektischen auch zwischen dem übrigen Gehirn-
umriss und der Dura mater vorkommt.
Betreffs der Experimente and der Beweisführung Cotugnos, welche darauf gerichtet waren, darzulegen, dass
die nach dem Tode gefundene Flüssigkeit als solche und nicht als ein dampfiger Dunst (Nubes vaporosa) während
des Lebens vorhanden war, weisen wir auf die allgemeine Historik hin, aus welcher hervorgeht, dass er nicht, wie
es bei Magendie—Jodin angegeben wird, daran zweifelte, dass das Wasser auch beim Menschen während des Lebens
vorhanden war, obwohl er dies nicht direct darlegen konnte. Eine nähere Beschreibung der Subarachnoidalräume
gab Cotugno nicht. Dass er die Flüssigkeit sich innerhalb der Duralscheiden der Hirnnerven während ihres intra-
craniellen Verlaufes fortsetzen sah, wurde eben in der speciellen Historik des Subduralraums hervorgehoben. Die
Vergessenheit, in welche die Entdeckung Cotugnos gerieth, ist ein eigenthümlicher Beweis daran, wie schwer es
auch einer gut dargelegten und äusserst wichtigen Wahrheit sein kann, Gehör und Eintritt auch in die wissenschaftliche
Welt sich zu verschaffen. Sömmering kannte zwanzig Jahre später nicht mehr von der Cerebrospinalflüssigkeit,
als was in seiner Aeusserung liegt, dass man oft zwischen der Arachnoidea und der Gefässhaut schleimiges Wasser
antrifft. Durch die Lehre Bichats, dass die Arachnoidea ein geschlossener seröser Sack, den übrigen serösen Häuten
des Körpers analog, sei, wurde die Aufmerksamkeit von den Subarachnoidalräumen und ihrem Inhalt gezogen und
vorzugsweise auf den sog. Arachnoidalsaek gerichtet; zu diesem wollte man nun die normale sowie die krankhafte
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/key1875-1/0092