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Gestalt bilden. Diese Ausläufer und ihre Netze laufen theils in mehr oder weniger weiten Strecken zwischen den
Bündeln, theils umspinnen sie dieselben in mancherlei Richtungen. Hie und da sieht man, dass sie in ziemlich weiter
Entfernung von der kernhaltigen Mittelpartie grössere protoplasmatische Anschwellungen von wechselnder Gestalt
— also Protoplasmapartien, die nur durch schmälere, oft ganz feine Brücken mit der Mittelpartie zusammenhängen —
besitzen (Fig. 2, 3, 6).
Mittelst ihrer Ausläufer und Zweige gehen die Zellen äusserst zahlreiche Verbindungen mit einander ein
(Fig. 2—7). Bald hängen zwei Zellen dicht bei einander durch eine unverzweigte, mehr oder weniger breite Brücke
zusammen, bald ist diese schmal oder verzweigt. Nicht selten senden sie Ausläufer in weiten Strecken hinaus, um
mit entfernteren Zellen in Verbindung zu kommen.
Hierdurch entsteht also ein verzweigtes System protoplasmatischer Zellen, welches die Fibrillenbündel mit
einem reichlichen protoplasmatischen Netz von verschiedenster Form und in vielerlei Richtungen umspinnt. Dies Zellennetz
ist in der That so wechselnder, so wahrhaft proteusartiger Gestalt, dass es sogar unmöglich ist, diese verschiedenen
Variationen mit Worten wiederzugeben. Die in der angef. Taf. XX dargestellten Formen können indessen vielleicht
eine Vorstellung vom Aussehen dieser Zellen geben. Hier findet sich in der That Nichts Constantes; sogar die
protoplasmatische Mittelpartie kann auf ein solches Minimum reducirt sein, dass man kaum mehr als den Kern
sieht, wogegen das Protoplasma hie und da an den Ausläufern angesammelt liegt. Es scheint, als ob man hier
Zellen mit beweglichem Protoplasma vor sich hätte, welche ihre Zweige nach allen möglichen Richtungen hin aussenden
könnte. Indessen liegen uns directe Beobachtungen über wirkliche Bewegungen dieser Zellen nicht vor.
Zuweilen kommen sogar zwei Zellen in einer Spalte vor, wobei sie nebeneinander liegen; nicht selten enthält eine
Zelle zwei dicht beisammen liegende Kerne, so dass es scheint, als ob eine Kerntheilung vorsichgegangen sei.
Wie verhalten sich aber nun diese Zellen zu den Bündeln? Es wurde schon angegeben, dass diejenigen, welche
eine bestimmtere Spindelform haben, offenbar keinem gewissen der angrenzenden Bündel, sondern dass sie etwa ebensoviel
beiden oder sämmtlichen Bündeln, welchen sie anliegen, angehören. Ungefähr dasselbe gilt auch betreffs der
übrigen Zellenformen. Die Zellen können zwar mit ihren häutchen- oder zweigförmigen Ausläufern zwischen die
einzelnen Bündel hineinlaufen und sie umspinnen, man kann aber hier nicht als ein allgemeines Structurprincip aufstellen
, dass jedes Bündel seine eigenen umspinnenden Zellen hat; es scheint im Gegentheil, als ob das gemeinsame
Besitzungsrecht hier gilt. Dies wird auch durch die Querschnitte (Taf. XX Fig. 8) bestätigt. Wenn es gelingt, dünne
Präparate quergeschnittener Bündelgruppen zu erhalten, kann man in der deutlichsten und schönsten Weise wahrnehmen,
wie die Zellen in fast jeder Richtung ihre Ausläufer zwischen die Bündel absenden, so dass mehr oder weniger verzweigte
Sternformen entstehen, in deren Mitte gewöhnlich der von einer Protoplasmapartie umgebene Kern sich befindet.
An den Querschnitten findet man auch, dass die einzelnen Zellen mittelst ihrer Ausläufer untereinander zusammenhängen.
Eine für die Bindegewebslehre wichtige Frage, welche äusserst schwer ist bestimmt zu beantworten, ist
diejenige, ob ausser den protoplasmatischen Ausläufern auch elastische Häutchen die Fibrillenbündel der Dura umgeben.
Mit Sicherheit gelang es uns nie, eine wirkliche zusammenhängende Häutchen- oder Endothelzellenschicht an diesen
Bündeln wahrzunehmen; wenn man auf die embryonale Natur der Zellen Rücksicht nimmt, scheint es indessen, als
ob sie dann noch in ihrer mehr elastischen Häutchenausbreitung so viel von der protoplasmatischen Beschaffenheit
übrig haben würden, dass das Anilin dieselbe darlegen vermöchte, aber nicht einmal die fast immer an den Häutchenzellen
der Subarachnoidalräume hie und da vorkommenden, glänzenden, kleinen Körner haben wir hier gesehen.
Die Ausläufer haben ausserdem oft eine so scharfe Begrenzung, dass diese sehr gegen das Vorhandensein einer
weiteren Häutchenausbreitung spricht. An anderen Zellen sieht man wohl wie erwähnt das Protoplasma in mehr
oder weniger, oft äusserst dünne Häutchenausbreitungen auslaufen; gewöhnlich aber behalten diese bis zu ihren
Rändern ihr körnig-protoplasmatischos Aussehen, welches durch Anilinfärbung hervortritt. An anderen Zellen (Taf.
XX Fig. 9 t) sieht man indessen zuweilen mehr homogene, elastisch aussehende, feine Häutchen von den Rändern
des Protoplasma sich fortsetzen.
Man wird diese letzteren der hier eben gelieferten Darstellung gemäss am besten als mehr oder weniger
rein protoplasmatische Zellen äusserst wechselnder Gestalt auffassen, welche Zellen indessen in dünne
protoplasmatische, zuweilen auch elastische Ausbreitungen auslaufen können. Wenn man die in der Taf. XX aus
Horizontal- und Querschnitten gelieferten Abbildungen von in situ liegenden Zellen mit den abgebildeten, isolirten
Zellen (Fig. 9 a bis t derselben Tafel) vergleicht, kann man gewiss eine Auffassung dieser Zellenart in ihren wichtigeren
Wechselungen erhalten.
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