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Erst im sechszehnten Jahrhundert fangen die Anatomen wieder an, sich mit der Nervenstructur ein wenig
zu beschäftigen. Koyter fand (1573), dass fadenförmige Markfasern, fibrae capillares, im Gehirne von der weichen
Hirnhaut umgeben, die Nerven bilden, welche beim Austritt aus der Schädelhöhle von der Dura mater überzogen
würden, und meinte, dass die Fasern jedes Nerven schon ursprünglich in so viele und so dicke Bündel besonders
eingehüllt wären, als in seinem Verlaufe Zweige von ihm abgingen; kein Nerv bestehe aus einem einzelnen Faden.
Du Laurens konnte in den Nerven keine Höhlung finden; Vesling bestätigte dies, sah aber doch die Nerven für
Gefässe und Canäle an, die mit einem weisslichen Marke erfüllt wären.
Mit Leeuwenhoek dem Begründer der mikroskopischen Anatomie, beginnt auch die Erforschung der Nervenstructur
. Im Jahre 1715 erwähnt er, neulich wahrgenommen zu haben, dass die Fleischnerven der Thiere aus
4—20 Strängen zusammengesetzt seien. Nicht nur einzelne Nervenstränge seien hohl, sondern alle mit vielen
Höhlungen versehen. Zwei Jahre später meldet er, dass er die Höhlungen der Nerven bei einer Kuh direct beobachtet
habe. Es seien gegen hundert Gefässe, welche einen einzelnen Nerven bilden. Eine regelmässige Saftbewegung
oder Cirkulation sei in den Nerven nicht bemerkbar. An den Nervensträngen sah er zuweilen auch Blutgefässe.
In dem an Dicke einem Barthaare gleichen Nerven eines Löwen schätzte er die Zahl der Röhren auf 1000.
Nach Haller 2) bestehen die Nerven inwendig aus Mark, das vom Hirn und Rückenmark sich in dieselben
fortsetzt. Dies Mark wird von der Pia mater zu Bündeln vereinigt; die Bündel sind in verschiedenen Nerven von
verschiedener Anzahl; sie sind, sagt er weiter, durch ein Zellgewebe verbunden, in welches auch die innere Schicht
der Dura mater eingeht. Mit dem Mikroskope sieht man aber die Bündel sich in kleinere und endlich in zahllose
Fasern auflösen. Im Uebrigen ist er geneigt, die röhrige Beschaffenheit der Nerven anzunehmen, durch welche die
Nervenflüssigkeit umhergeführt werden könnte.
Nach Prochaska 3) werden, wie oben angedeutet wurde, die vom Gehirn und Rückenmark abgehenden Nerven
von den drei Häuten derselben umfasst, indem die Arachnoidea und die innere Schicht der Dura mater von den
knöchernen Austrittstellen an zusammen diese Nerven in ein zelliges Gewebe einhüllen und dieselben in ihrem
weiteren Verlauf begleiten; eine zweite Hülle der Nerven geht von der Pia mater ab von ihrem Ursprung bis zu
ihren Enden; letztere Hülle umfasst aber nicht nur die einzelnen Bündel, sondern schickt auch nach deren Innerem
viele häutige Septa, durch welche die Bündel in kleinere Fascikel getheilt werden. Diese Hülle und ihre Septa
tragen die Blutgefässe der Nerven. Die Marksubstanz der Nerven besteht nach ihm aus ähnlichen Kügelchen, wie
sie in der Barksubstanz des Gehirns vorkommen, nur sind dieselben in den Nerven mehr in geraden Linien angeordnet
, so dass sie als Fasern erscheinen.
In seiner Arbeit über das Viperngift4) hat Fontana unter Anderem genauere, auf die Nervenstructur bezügliche
Angaben niedergelegt. Nachdem er einige frühere zweifelhafte Beobachtungen erwähnt, sagt er: »Ich
glaubte dann, dass der Nervenprimitivcylinder (le cylindre nerveux primitif) aus einem durchsichtigen, kleineren,
gleichmässigeren Cylinder bestehe, welcher mit einer anderen, vielleicht cellulären Substanz bedeckt sei. Meine
späteren Beobachtungen bestätigten immer mehr diese Annahme, welche sich endlich als wirkliche Wahrheit ergab.
Ich sah in vielen Fällen diese beiden Theile, welche den Nervenprimitivcylinder zusammensetzen. Der eine liegt
nach aussen, ist uneben und höckerig; der andere ist ein Cylinder, welcher aus einer besonderen, durchsichtigen,
homogenen Membran gebildet zu sein scheint; letztere scheint mit einer gelatinösen Flüssigkeit gefüllt zu sein, die
von einer gewissen Consistenz ist)). ))Als ich eingehender die äussere Hülle der Nervenprimitivcylinder untersuchte,
glaubte ich wahrzunehmen, dass sie aus gewundenen Fasern (fils tortueux) zusammengesetzt sei, welche längs dem
Nerven verliefen und eine Hülle für die inneren Cylinder bildeten; ich überzeugte mich später noch mehr davon
mittelst einer Linse, welche 800 Mal vergrösserte. Die Fig. VIII stellt einen Nervenprimitivcylinder dar, welcher
von seiner äusseren Scheide bedeckt ist. Man sieht, dass sie aus sehr feinen gewundenen Fasern besteht, welche
längs dem Cylinder verlaufen)). »Diese die Cylinder bedeckenden gewundenen Fasern werde ich die gewundenen
Cylinder der Nerven (Cylindres tortueux des nerfs) nennen, und da ich sie zusammen als eine Hülle der Nervenprimitivcylinder
betrachte, werde ich sie als äussere Scheide (gaine externe) der Nervenprimitivcylinder bezeichnen)).
»Dies ist die primitive Zusammensetzung der Nerven. Der Nerv besteht aus einer Anzahl durchsichtiger, homogener,
1) Opp. I—IV.
2) Elementa Physiologie corporis liumani. Tom. IV, Lausanne 1762.
3) De structura nervorum. Vindobonse 1779.
4) Sur le venin de la vipere. Tom. II. Florence 1781.
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