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Wenn man den dünnen Längsschnitt eines am besten in Ueberosmiumsäure (Taf. XIII Fig. 1; Taf. VII Fig. 29)
erhärteten cerebrospinalen Nervenstammes betrachtet, findet man die schwarz gefärbten myelinhaltigen Nervenfasern
nicht ganz dicht beisammenliegend, sondern zwischen ihnen hellere Zwischenräume von etwas wechselnder Grösse.
Bei genauerer Betrachtung sieht man, dass diese Zwischenräume nicht leere Räume sind, sondern eine Gewebsubstanz
enthalten, welche ein klares, ungefärbtes, glänzendes, schwach läugsstreifiges Aussehen darbietet. An den Rändern
des Präparates zeigt sich nun, besonders an dünnen, etwas zerfaserten Stellen, diese Substanz ganz deutlich fibrillär;
die Fibrillen derselben entsprechen vollständig gewöhnlichen bindegewebigen Fibrillen, sie lösen sich beim Zerzupfen
ohne Schwierigkeit von einander und flottiren einzeln oder bündelweise als äusserst feine, oft etwas wellenförmig
verlaufende Fäserchen in der Untersuchungsflüssigkeit. Man bekommt sie sogar gewöhnlich in diesem mehr oder
weniger zerfaserten, bündelweise angeordneten Zustande (Taf. VII Fig. 26) zur Anschauung. Wenn aber das Präparat
durch die Manipulationen weniger angegriffen worden ist (Taf. VII Fig. 29), sieht man diese Fibrillenbündel in
gewisse kleinere Partien abgegrenzt, von welchen jede einer Nervenfaser angehört oder sogar dieselbe umfasst.
Die einzelnen Nervenfasern werden nämlich von je einer solchen Fibrillenpartie umschlossen. Es ist dies die von
uns sogenannte Fibrillenscheide der Nervenfasern. Diese Scheide, welche eine ziemlich dünne Schicht bildet,
liegt der Schwannschen Scheide bald mehr bald weniger dicht an; oft sieht man sie aber ganz deutlich von ihr
durch einen schmalen Raum getrennt. Die Fibrillenscheide besteht indessen nicht allein aus der beschriebenen
Fibrillenschicht; an der Aussenseite derselben findet man nämlich hie und da ovale"abgeplattete Kerne zerstreut und
rings um letztere eine der Fibrillenschicht sich anschmiegende, dünne, körnige, protoplasmatische Ausbreitung. Die
Fibrillenscheiden sind mithin von aussen durch Häutchenzellen bekleidet; diese Zellen scheinen aber keine ganz zusammenhängende
Schicht zu bilden. Hie und da sieht man sie zwar in grossen häutchenartigen Fetzen von der
Fibrillenschicht sich ablösen (Taf. VII Fig. 27 e) und zuweilen hängen an solchen abgetrennten Fetzen zwei Zellen
mit ihren fast verschwindend dünnen Rändern zusammen; oft liegen aber die Kerne ziemlich weit aus einander, und
in den Zwischenräumen zwischen ihnen konnten wir dann gar keine Spuren eines Zellenhäutchens wahrnehmen.
Bei der Beschreibung der Injectionsversuche werden wir auch andere Umstände besprechen, welche für ein Durch-
brochensein der Häutchenzellenschicht und der Fibrillenscheide in der That sprechen. In einigen Fällen glaubten
wir auch an der Innenseite der Fibrillenscheide Häutchenzellen zu finden; dies geschah aber nur ausnahmsweise.
Die eben beschriebenen Fibrillenscheiden, welche übrigens von etwas verschiedener Mächtigkeit sein können, begleiten
die Nervenfasern überall in den Nervenstämmen und ihren Verzweigungen, oft bis weit in die Endausbreitungen
hinaus; in den feineren Nervenzweigen scheinen sie sogar bisweilen an Mächtigkeit zuzunehmen, wie z. B. in den
Fingernerven. An den Einschnürungsstellen bilden sie in der Regel keine Einbiegungen, sondern stehen von den
Schwannschen Scheiden etwas mehr abgetrennt als an den übrigen Theilen der Nervenfasern; an jenen findet sich
dann oft die oben erwähnte, kleine, körnige Substanz, welche die Einschnürung an der Aussenseite erfüllt (Taf. VII
Fig. 11—13).
Wenn man nun den Querschnitt eines gut erhärteten cerebrospinalen Nervenstammes (Taf. XII Fig. 2; Taf.
XIII Fig. 8—10) durchmustert, findet man ebenfalls, dass die einzelnen Nervenfasern von einander durch eine hellere
Substanz getrennt sind. Diese Substanz scheint an solchen erhärteten Präparaten gewöhnlich ziemlich homogen und
compact; hie und da tritt aber ihre Zusammensetzung aus quer abgeschnittenen Fibrillen ganz deutlich hervor. Sie
entspricht mithin den beschriebenen Fibrillenscheiden und bildet bald dünnere bald dickere Ringe um die Querschnitte
der Nervenfasern; an den Stellen, wo drei oder mehrere solche Fibrillenscheiden zusammenstossen, besitzen
sie Verdickungen, und hier liegen oft die Kerne der bekleidenden Häutchenzellen. An den Querschnitten sieht man
aber deutlicher als an den Längsschnitten, dass die einzelnen Fibrillenscheiden oft von einander nicht scharf abgetrennt
sind, sondern vielmehr unter einander zusammenhängen und hierdurch gewissermassen ein Fachwerk darstellen
, in welchem die Nervenfasern liegen. Dies Fachwerk ist in bald kleinere, bald grössere Partien eingetheilt,
welche eine verschiedene Anzahl von Nervenfasern enthalten (Taf. XIII Fig. 2, 10). Hierdurch werden letztere zu
kleineren oder grösseren Gruppen verbunden.
Die also durch die Fibrillenscheiden gebildeten Nervenfasergruppen liegen nun aber nicht lose an einander.
In den hellen Spaltenräumen zwischen ihnen nimmt man am Querschnitt der Nerven mehr oder weniger feine Linien
wahr, welche um die Nervenfasergruppen verlaufen und sie zusammenbinden. Diese Linien erweisen sich bei genauerer
Beobachtung als Querschnitte dünner Lamellen, welche in verschiedener Anzahl und Richtung zwischen den
Key und Ketzius. Studien in der Anatomie des Nervensystems. 26
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