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Am 26. Februar 1902 teilte Holzwarth dem
Gemeinderat mit, daß er auf Grund seiner angegriffenen
Gesundheit auf 1. Mai aus dem Dienst
ausscheiden wolle. Wenig später erlitt Holzwarth
einen Schlaganfall, von dem er sich glücklicherweise
wieder relativ rasch erholte. An
Ostern 1902 verließ Holzwarth Schramberg
und zog nach Murrhardt, seiner Geburtsstätte,
wo er am 28. November 1911 76-jährig
verstarb. Holzwarth war mit seinen 24 Amtsjahren
bis zum heutigen Tage der Ortsvorsteher
mit der längsten Dienstzeit. In Anerkennung der
großen Verdienste um die Fortentwicklung der
Stadt und das Wohlergehen ihrer Bürger, die er
sich während seiner treuen, selbstlosen und
aufopfernden Amtsführung erworben hatte, ernannte
ihn der Gemeinderat in seiner Sitzung
am 9. April 1902 als zweiten Bürger der Stadt
nach Baurat Karl v. Leibbrand zum Ehrenbürger.
Von den fünf Kindern der Familie Holzwarth
kam der Sohn Dr. Hans Holzwarth zu besonderen
Ehren. Er hatte Naturwissenschaften studiert
und sich als Erfinder der ersten Gasturbine
im Jahre 1908 einen Namen weit über die Grenzen
seines Heimatlandes hinaus gemacht. Finanziell
war er dabei tatkräftig von Kommerzienrat
Erhard Junghans unterstützt worden. Aus den
Erinnerungen von Hans Holzwarth ist zu erfahren
, daß sein Vater einen Großteil seiner Zeit
und Kraft in den Dienst seines Amtes stellte. Die
Erziehung seiner fünf Kinder überließ er seiner
ebenso hübschen wie intelligenten Frau Natalie.
Lediglich mittags war er in der Familie anwesend
. Abends nach Dienstschluß begab er sich
regelmäßig an den Stammtisch. Einerseits bedeutete
ihm die gesellschaftliche Unterhaltung
sehr viel, zum anderen hatte er dabei die Gelegenheit
, die „öffentliche Meinung" außeramtlich
kennenzulernen. Der Gemeinderat, mit dem er
zusammenzuarbeiten hatte, war aus Vertretern
der verschiedensten Interessengemeinschaften
und Machtgruppen zusammengesetzt. Dawaren
die Junghansler" gegen die „Landenberger", die
Katholischen gegen die Protestanten, die Landwirte
gegen den aufkommenden Mittelstand,
Alteingesessene gegen Zugezogene, Konservative
gegen die Neuerer, und sie alle hatten ihre
„Lobby" im Gemeinderat.
Die Wahl eines neuen Stadtschultheißen wurde
auf 15. April festgesetzt. Von den ursprünglich 8
Bewerbern, darunter auch Doli, der 1908 erneut
zweimal erfolglos kandidierte, blieben am
Ende zwei als ernsthafte Kandidaten übrig. Es
waren dies Polizeiamtmann Edmund Harrer aus
Reutlingen und Amtmann Vollmar aus Ulm.
Schon die Kandidatenvorstellung ließ auf einen
scharfen und erbitterten Wahlkampf schließen,
der vor allem durch konfessionelle und industrielle
Interessenpolitik zusätzlich belastet
wurde. Auf katholischer Seite erhob man nach
dem protestantischen Stadtschultheißen Holzwarth
die unabdingbare Forderung nach einem
katholischen Stadtoberhaupt. Der Wahlkampf
wurde mit großer Leidenschaft geführt, wobei
es auf beiden Seiten an ehrverletzenden Äußerungen
und Behauptungen nicht fehlte. Harrer,
Protestant mit katholischer Erziehung, wurde
von den Sozialdemokraten, den Liberalen, den
Protestanten und auch einigen einflußreichen
Katholiken unterstützt, nachdem der katholische
Stadtpfarrer Dr. Koch von Reutlingen ihn
als einen durch und durch zuverlässigen Charakter
geschildert hatte, der sich in Reutlingen
allseitiger Hochachtung erfreue.
Der Katholik Vollmar hatte die Unterstützung
des Zentrums und eines Teils der Volkspartei.
Bei der Wahl am 15. April stimmten von 941
Wahlberechtigten 908 ab. Für Vollmar wurden
457, für Harrer 451 Stimmen abgegeben. Doch
die Wahl wurde vom Königlichen Ministerium
des Innern für ungültig erklärt, erstens weil
einige Bürger gewählt hatten, die mit ihrer Steuerzahlung
im Rückstand waren, zweitens wegen
unzulässiger Wahlbeeinflussung und drittens,
weil die Wahllokale zu früh geschlossen worden
waren. Gegen diese Ungültigkeitserklärung legten
einige Vollmar-Wähler Rechtsbeschwerde
beim Königlichen Verwaltungsgerichtshof ein.
Dieser verwarf die Beschwerde und legte die
Wiederholungswahl auf den 22. August fest.
Der Wahlkampf verlief relativ ruhig; die Parteien
legten den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten auf
die Werbung neuer Wähler, indem Bewohner,
die das Bürgerrecht noch nicht hatten, aufgefordert
wurden, dieses zu erwerben und damit
auch wahlberechtigt zu werden. Während bei
der ersten Wahl am 15. April es nur 941 Wahlberechtigte
waren, hatte sich diese Zahl am 22.
August auf 1443 erhöht. Davon entfielen auf
Harrer 825, auf Vollmar 570 Stimmen. Der Kandidat
der Liberalen und Protestanten hatte gesiegt
, das Zentrum, für das Stadtpfarrer Bauer
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