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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/kraez_02/0065
Lehrling hatte ich alle Pudelarbeiten zu thun,
wie: Briefeschreiben, Briefcopieren, adressieren
, expedieren, 302 Taschenmacherinnen ihre
Taschen abnehmen und auf die Bühne tragen;
später 32 Flechtschulen ihre Geflechte und
Hüte abnehmen, spedieren, Kistenzeichen, fac-
turieren ud correspondieren. Zur Buchhaltung
kam ich erst selbständig in der Filiale in Berlin.

Bei meinem Eintritt war Buchhalter und Reisender
Herr Otto Braun, geboren 1827, gestorben
28 Jahre alt an Schwindsucht den 12. März
1855. Herr Max Gais kam im Sommer 1850
etwa ein halbes Jahr vor mir ins Geschäft, wurde
als Reisender engagiert, war aber nur einige Mal
auf Reisen. Er war der Sohn des Apothekers Gais
in Rottweil, wurde geboren den 23- September
1829 und starb als Geschäftsteilhaber an Gelbsucht
den 18. April 1888 im Alter von 58 Jahren
und 7 Monaten.

Später kam Herr Andreas Schuhmacher von
Spaichingen, ein Vetter von Otto Braun, der mit
Herrn Gais bei Herrn Pfleiderer in Nagold die
Lehre bestanden hatte, als Reisender ins Geschäft
. Er trat 1859 wieder aus, verheiratete sich
nach Bonn und starb daselbst kinderlos.
Im Herbste 1850, vor meinem Eintritt in die
Lehre, machte ich mit Tante Nenne und auf
deren Kosten eine Besuchsreise zu Onkel Jegg-
lin, Rentmeister in Aulendorf. Wir fuhren mit
Extrafuhrwerk nach Rottweil, von da mit der
Post nach Stockach, wo übernachtet wurde,
dann über Pfullendorf nach Aulendorf. Von Aulendorf
fuhren wir mit Onkel nach Friedrichshafen
, wo ich den Bodensee zum ersten Mal sah,
auch zum ersten Mal mit der Eisenbahn fuhr.
Damals war das „Tischrücken und Geisterklopfen
" im Schwung, und Onkel und Tante erzählten
uns so viel von Geistererscheinungen, daß
wir uns in dem alten Kloster, das sie bewohnten
, arg fürchteten und nach etwa 10-14 Tagen
wieder abreisten. Die Rückreise ging per Bahn
über Ulm und Cannstatt nach Stuttgart. In Stuttgart
ließen wir uns durch einen Jungen die
Sehenswürdigkeiten und auch den Schloßgarten
zeigen, woselbst meine Tante Nenne die nackten
Statuen nicht ansehen wollte und sie abscheulich
fand.

Der Junge erhielt für seine Bemühungen das
riesige Trinkgeld von 9 Kreuzern, womit er aber
wenig zufrieden war. Abends 9 Uhr setzten wir
uns wieder in den nach Schramberg abgehenden
Postwagen und kamen am nächsten Tage
gesund und an Eindrücken reicher, aber mit
dem Gefühle nach Hause, daß es eben doch zu
Hause am schönsten sei. Damals habe ich nicht
daran gedacht, daß, ich später gegen 40 Jahre
reisen müßte!

1852. Im Mai 1852 bekam ich garstrisches Fieber
(Typhus), war 6 Wochen lang ernstlich
krank und bekam Aderlaß. Wiedergenesen, war
ich so schwach, daß ich das Gehen erst wieder
lernen mußte. 1854 hatte ich die Ruhrkrankheit
mit August und Otto. Bruder August und ich
sparten von klein an jeden Kreuzer brüderlich,
den wir geschenkt oder für kleine Dienste erhielten
, zusammen, und als wir am 31. Decem-
ber 1853 die Sparkasse teilten, konnte jeder
eine neue Hose kaufen und behielt noch Fl.
2,24 übrig, womit erst recht zu sparen angefangen
wurde.

Da der Kaufmann früher zünftig war, mußte ich
nach vollendeter Lehrzeit in Oberndorf meine
Gehülfenprüfung ablegen, was auch am 13.
März 1855 vor der Prüfungs-Commission geschah
und wofür mir ein Lehrbrief vom Zunftmeister
Schrayjaegg ausgestellt wurde mit Fl.
4,30 Kosten.

Da das Geschäft viel mit Frankreich verkehrte,
mußte ich auch meiner Verpflichtung nachkommen
, die französische Sprache zu erlernen. Mein
Anfangs-Gehalt als Commis betrug Fl. 200,- pro
Jahr und konnte ich damit schon auf diese Ausgabe
sparen.

1855. Auf Verwendung meiner guten Tante
Peppe bei ihrer Base, Frau Elise Glaßon in Bulle,
Canton Fribourg, erklärte sich dieselbe bereit,
mich bei sich aufzunehmen. Frau Glaßon geb.
Jeggle war eine Tochter von Joh. Nep. Jegglin,
dem Bruder meines Großvaters mütterlicherseits
; er war Metzger und Besitzer des Gasthauses
„de la mort" in Bulle. Meine Tante Peppe
war 6 Jahre lang bei diesem ihrem Onkel im
Geschäfte, und hatte er bloß eine einzige Tochter
, Elise, die er an einen reichen und seelenguten
Kaufmann, Auguste Glaßon, verheiratete.
Diese Ehe blieb kinderlos, und die Cousine
hatte stets die „Regierung" in der Hand und war
sehr herrschsüchtig. Am 22. April 1855 reiste
ich von hier zu Fuß nach Offenburg, von dort
per Bahn nach Basel, wo ich im „Weißen Kreuz"
in Klein-Basel übernachtete. Unterwegs besuchte
ich noch Herrn Louis Kraus in Freiburg i.B.

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