http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/kraez_05/0055
In Gumpoldskirchen, einem Weinort vor den
Toren Wiens, waren vor allem schwäbische Sänger
einquartiert. Sie hatten es daher, wie man so
sagt, gut getroffen. Die Schramberger stachen
durch ihr Abzeichen, einen kleinen Wecker zum
Anstecken, den die Firma Junghans gestiftet hatte
, besonders hervor. „A richtig's Weckerl, wie
herzig und schön! Können's mir nicht oans geben
?", war immer wieder zu hören. Unser Gewährsmann
meint, es sei schade gewesen, daß
nicht jeder Sänger ein Dutzend davon gehabt
hätte. Die Gumpoldskirchner Mädchen hätten
gar zu lieb darum gebeten.
Um 12.30 Uhr fand vor dem Rathaus ein Platzkonzert
statt. Dabei hielt der Bürgermeister seine
Begrüßungsrede, in der er es selbstverständlich
nicht unterließ, auf den guten Tropfen hinzuweisen
, der hier wachse. Letzterer muß denn
seine Wirkung bei den Sangesbrüdern auch
recht bald gezeitigt haben, denn - so ist vermerkt
- nach dem Mittagessen seien aus allen
Gasthöfen die schönsten Lieder erklungen.
Doch dann ließen sich unsere Schramberger
nicht mehr halten. Auf ging's nach Wien! Dort
begannen gerade die ersten Feierlichkeiten des
Sängerfestes: Eine Delegation aus Hannover, der
letzten Feststadt, übergab das Bundesbanner an
die Stadt Wien. Und schon ging's weiter zur
Festhalle, einem 185 Meter langen und 110 Meter
breiten Holzbau, der sage und schreibe für
40000 Sänger, die Zuhörer nicht eingerechnet,
Platz bot. Kein Wunder, wenn da manchem
Schramberger Hören und Sehen verging! Erst
recht nicht aus dem Staunen heraus kamen die
Schramberger, als sie den Prater erlebten, selbst
diejenigen nicht, die, wie der Chronist bemerkt,
„schon in Großstädten gewesen waren". Am
Abend hatte Gumpoldskirchen unsere Schramberger
wieder. Zu Ehren der Gäste fand im „Rathauskeller
" ein Festbankett statt. Der Saal war
jedoch bald so überfüllt, daß manche Sänger das
zum Anlaß oder Vorwand nahmen, heimlich davonzuschleichen
und in einer Heurigenwirtschaft
zu verschwinden. Bei Schrammelmusik
soll es hoch hergegangen sein: Feurige Ansprachen
wurden gehalten, dem Heurigen wurde
munter zugesprochen und der heimische Most
mit Schande bedacht. Das alles währte bis zum
frühen Morgen, weil die Polizeistunde über die
Festtage aufgehoben war.
Doch nun kam für die Sänger der Ernst des
Festes! Galt es doch an diesem Tag, „dem Gedächtnis
des großen Tonmeisters Franz Schubert
zu huldigen und sich zu einem gewaltigen Bekenntnis
für deutsches Wesen und deutsche
Kunst zu vereinigen". Schon am Vormittag wimmelte
der Festplatz auf der Jesuitenwiese von
Sängern, welche die Proben besuchten. Um 13
Uhr war es dann soweit: Das Blasorchester, zusammengestellt
aus Mitgliedern der Wiener
Staatsoper und des Sinfonieorchesters, setzte
ein, die Glocken Wiens läuteten, und dann trugen
die Teilnehmer, 40000 an der Zahl, Schuberts
letztes Chorwerk vor. Nach einer Ansprache
des Präsidenten des Deutschen Sängerbundes
sang der Gesamtchor „Der Lindenbaum" und
Festkonzert in der Sängerhalle
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