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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/kraez_05/0059
Trude Lustig:

SCHRAMBERGER ORIGINALE (Fortsetzung)

In der letzten Nummer wurde von Originalen
erzählt, die wegen ihrer Gestalt und Eigenart
noch in guter Erinnerung sind, nämlich von
Hans von Stein, vom Schnurri, vom Harschierle
und vom Bittelkaarle vom Sulgen. Heute sollen
nochmals solche markanten und schillernden
Gestalten vorgestellt werden. Manche davon
sind nur noch wenigen bekannt. Umso notwendiger
erscheint es, sie hier skizzenartig festzuhalten
. Andere wiederum sind vielen Schramber-
gern noch so vertraut, daß man nur mit wenigen
Worten an sie zu erinnern braucht, um sie in der
Phantasie zu neuem Leben zu erwecken.
Bei diesem Streifzug durch die Geschichte des
„Fleckens" werden uns nicht wenige Vertreterinnen
des sogenannten schwachen Geschlechts
begegnen, was beweist, daß Originalität keineswegs
nur Männersache ist.

Der „Glaser Fehre"

Um die Jahrhundertwende wohnte in einem
kleinen Haus neben der „Nippenburg" der Glaser
Fehrer, von geringer Statur, aber ein gewaltiges
Schlitzohr. An der Fasnet trat er immer als
Kosake auf, und auch während der übrigen Jahreszeiten
war er dem Festen nicht abhold. Beim
Volksfest auf dem Cannstatter Wasen war er
natürlich immer dabei. Doch da sein Gewerbe
ihm nicht viel einbrachte und sein Weib zudem
den Daumen auf dem wenigen hatte, das er
verdiente, war er genötigt, hin und wieder etwas
auf die Seite zu bringen, um dann bei Gelegenheit
losziehen zu können. Damit sein Weib nicht
an diese stille Reserve herankam, verbarg er sie
in einer kleinen Blumenvase in der Werkstatt.
Um zu verhindern, daß die Vase „abgestaubt"
wurde, hatte er sie stets mit einem getrockneten
Roßbollen zugedeckt. Erfolgreich, wie man sich
heute noch erzählt! -

Auf dem Cannstatter Volksfest tat er sich mit
allerlei Sprüchen hervor. So erzählte er einmal

großspurig, er besitze in Schramberg einen Wolkenkratzer
. Ein etwas einfältiger Bürger wollte
dem nachgehen und fuhr schnurstracks nach
Schramberg. Da er in den fünf Tälern nirgendwo
dergleichen ausmachen konnte, fragte er nach
dem Fabrikanten Fehrer. Schmunzelnd wies man
ihn in die kleine, ebenerdige Werkstatt in der
Geißhaldenstraße. Vorwurfsvoll fragte er den
Meister nach seinem Wolkenkratzer. Schlagfertig
antwortete dieser: „Mein Herr, Sie befinden sich
im obersten Stockwerk, alle anderen Stockwerke
liegen unter der Erde!" -
Seine Gläubiger und sonstige unliebsame Zeitgenossen
hielt er sich gerne vom Leibe, indem er
sein Haus verriegelte und einfach „nicht da" war.
Wenn sie dann halt doch hineinkamen, konnte er
fürchterlich schimpfen: „Wenn i au älle Düre
zuemach, dann komme die Schindlueder s'Ka-
min rab!" -

Da er lieber im Wirtshaus als in der Werkstatt
war, gab es daheim manchen Ärger und Streit.
Schließlich wußte sich sein Weib nicht mehr
anders zu helfen als mit der Drohung: „Zu Dir
schlof i nimme!" Das ging dem guten „Fehre"
denn doch zu weit. Er sann auf eine List! Sollte
sein Weib, die Rosa, ruhig in die Bühnenkammer
des Sohnes, der in der Fremde war, umziehen, er
wollte ihr das ein für allemal austreiben. Er
machte sich flugs ans Werk, bohrte ein Löchlein
in die Schlafzimmerdecke und brachte unter der
Bettlade seines Buben ein Glöcklein an, das er
durch das Loch von unten mit einem Faden
bedienen konnte. Als er wie gewohnt spät in der
Nacht heimkam, mußte er feststellen, daß sein
Weib die Drohung wahrgemacht hatte und oben
lag. Der „Fehre" zog am Faden und ließ das
Glöcklein kräftig bimmeln. Bleich wie ein Gespenst
kam seine Rosa die Treppe herunter:
„Gott sei Dank, daß Du do bischt, do obe geisch-
tert's!" Fortan blieb die Rosa im ehelichen Gemach
, auch wenn sie es oft erst lange nach
Mitternacht mit ihm teilen konnte.

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