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Schultheiß Eberhardt:

MEINE LEBENSZEIT (Fortsetzung)

In Heft 5 wurde der 1. Teil der Lebenserinnerungen von Schultheiß Eberhardt (1844-1922), von
ihm selbst „Meine Lebenszeit" genannt, abgedruckt. Darin erzählt er von seiner Kindheit und
Schulzeit in Fluorn, seiner Schreinerlehre in Dornhan und seinem Auszug als Handwerksbursche im
Jahre 1861. Im vorliegenden 2. Teil berichtet er nun, wie es ihm „draußen" ergangen ist und welche
Erfahrungen er dabei gemacht hat. 1865 muß er zur Rekrutierung in das Königreich Württemberg
zurückkehren.

Ich hatte öfters von Basel gehört, daher entschloß
ich mich, mit der Eisenbahn dorthin zu
fahren. Ich sah an den Wagen, daß es erste,
zweite und dritte Klasse gab. Sofort erkundigte
ich mich nach dem Fahrpreis. Mein Geld reichte!
Ich ging schnell zur Herberge zurück, um mein
Felleisen zu holen. Das Münster war mein Wegweiser
. Dann ging es schnell zurück zum Bahnhof
. Ich löste ein Billet dritter Klasse, stieg ein
und legte mein Felleisen ab. Nun fuhr ich zum
erstenmal Eisenbahn. Es war wunderbar! Ich
betrachtete staunend die Gegend, die mir
unendlich schön vorkam: Keine Berge und Wälder
, aber viele Weinberge, für mich etwas völlig
Neues. Gegen 4 Uhr am Nachmittag kamen wir
im Badischen Bahnhof in Kleinbasel an. Die
Hauptstraße führte direkt in die Stadt; gleich am
Bahnhof war die Grenzwache, wo alle durchgehen
mußten. Wir wurden von einem Polizisten
angehalten und auf die Wache geführt. Mir klopfte
das Herz; ich war sprachlos, denn so etwas
kannte ich nicht. Ich war der kleinste, jüngste,
schüchternste und letzte. Man mußte Papiere
und Reisegeld vorzeigen. Ohne Reisegeld durften
damals keine Fremden in die Stadt. Alle
hatten das Verlangte. Als ich an der Reihe war,
hielt ich mein Wanderbuch offen hin. Ein Polizist
schaute es kurz an und sagte zu einem
anderen: „Der kommt gerade von zu Hause aus
Württemberg! Der muß noch genug Reisegeld
haben!" Ich brauchte mein Geld, das auf einen
Gulden, einen Taler, 45 Kreuzer zusammengeschmolzen
war, nicht mehr vorzuzeigen. Mir fiel
ein Stein vom Herzen, ich atmete wieder
leichter.

Es war schon nachmittags 5 Uhr, als ich nach
Kleinbasel hineinmarschierte, rechts und links

die schönen Häuser betrachtend. Ich erkundigte
mich nach der Schreinerherberge, die, wie ich in
Freiburg erfahren hatte, im „Roten Ochsen" in
Kleinbasel war, ganz in der Nähe der Rheinbrük-
ke. Es gab damals zwischen Klein- und Großbasel
nur eine Brücke über den Rhein. Über diese
Brücke mußte alles. Ich fand bald die Herberge.
Ganz ängstlich und schüchtern trat ich ein. Das
war ganz anders als in Freiburg: Es waren viel
mehr Leute da, die meisten Schreiner, einige
Glaser. Sie sprachen die verschiedensten Dialekte
, die ich alle noch nie gehört hatte. Ich kannte
halt nur mein Schwäbisch! Ich fragte eine Kellnerin
, ob ich hier übernachten könne. Wenn ich
Schreiner sei, ohne weiteres, antwortete sie. Ich
bestellte ein Glas Bier und Käse. Ich wurde
gefragt, was für einen Käse ich wolle: Schweizer,
Limburger oder Kräuterkäse. Ich kannte den
Unterschied nicht, bestellte aber Schweizer Käse
, weil ich ja nun in der Schweiz war. Beim
Bezahlen gab ich mein ganzes Geld her und
bekam lauter Schweizergeld zurück. Ich kannte
es nicht und konnte es daher auch nicht nachzählen
. Die Kellnerin sagte, es stimme. Ich glaubte
ihr und schob es ein.

Am anderen Morgen ging ich wie tags zuvor in
Freiburg auf Arbeitssuche. Ich ging staunend
über die Rheinbrücke, denn eine solch gewaltige
Brücke, ein solch reißendes Wasser und einen
solch breiten Strom hatte ich noch nie gesehen.
Das war etwas ganz anderes als der Neckar in
Sulz. Ich kam nun in die Großstadt und überall in
ihr herum, dann auch in die Außenviertel, weil
die meisten Geschäfte außerhalb lagen. Doch ich
konnte keine Arbeit finden, überall wurde ich
wie tags zuvor abgewiesen. In die großen Geschäfte
einzutreten, traute ich mich schon gar

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