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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/kraez_06/0064
Werkstatt mit sechs Gesellen und drei Lehrbuben
an. Es wurden polierte und tannene Möbel
hergestellt sowie Bauarbeiten gemacht. Für
mich als jungen Gesellen war diese Werkstatt
zur weiteren Ausbildung sehr günstig. Ich war ja
noch nicht ganz 17 Jahre alt. Ich bekam gleich 2
Gulden, 20 Kreuzer Wochenlohn, was mich
überglücklich machte. Auch gab es Vesper mit
einem — ich konnte es nicht glauben — größeren
Glas Wein. Mein Versprechen bei der Abreise,
die 6 Gulden Reisegeld so bald wie möglich
heimzuschicken, löste ich, sobald ich die Summe
beisammen hatte, ein. Essen, wohnen und schlafen
konnte ich beim Meister. Nun mußte ich an
die Anschaffung von Kleidern denken, denn ich
konnte sonntags nicht ausgehen, solange ich
nicht standesgemäß als Schreiner montiert war.
Damals war man noch stolz auf das Handwerk;
man mußte zunftmäßig erscheinen. Viele ältere
Gesellen trugen sogar schwarze Zylinder. Wenn
man am Meister vorbeiging, durfte man nicht
rauchen.

Nach 14 Tagen mußte ich mich beim Altgesellen
melden, um mich in die Spitalkasse (Krankenkasse
) einschreiben zu lassen. Das geschah bei einer
Zunftversammlung, zu der alle Schreinergesellen
laut Statuten zünftig zu erscheinen hatten. Da
ich noch keine entsprechenden Kleider hatte,
staffierten mich meine Nebengesellen standesgemäß
aus: der eine gab mir eine passende Hose,
ein anderer Weste, Rock und Schildermütze,
ferner Schuhe, denn ich hatte bloß Pechschuhe
mit Kappennägeln. Nicht einmal meinen Stock
durfte ich mitnehmen; ich bekam einen feineren
, saubereren, eleganteren in die Hand. So
haben sie mich als Mitgesellen der ersten Werkstatt
im Städtle ausstaffiert. Ich schämte mich vor
ihnen und wäre am liebsten zu Hause geblieben.
Aber es durfte nicht sein. Überall wurde ich mit
Sie angesprochen, auch von meinen Nebengesellen
, was mir eigentümlich vorkam, weil ich
das von Zuhause nicht gewohnt war.
Ich konnte mich nun in meinem Handwerk wie
auch im Umgang in der Gesellschaft weiterbilden
. Das fiel mir leicht, weil ich es so wollte und
jede Gelegenheit dazu nutzte. Ich blieb hier bis
zum 24. August 1862, also ein Jahr und fünf
Monate. In dieser Zeit habe ich viel gesehen und
gelernt, weil ich selbständig arbeiten durfte. Ich
konnte mich überall, auch in besserer Gesellschaft
, bewegen. Mein Schwäbisch hatte ich abgelegt
. Trotz meiner Jugend konnte ich in jede
bessere Werkstatt eintreten. Meine Nebengesellenwaren
fast alle älter. Unter den älteren befand
sich ein Hesse, ein Oldenburger und ein Bayer.
Die meisten waren katholisch, der letztere jedoch
evangelisch. Er war hoch in den Dreißig
und sehr solid, ruhig und nüchtern. Ich stand
unter seinem besonderen Schutz. Als ich richtig
montiert war, nahm er mich einige Male ins
Missionshaus nach Basel mit. Die Stunden dauerten
aber abends bis 8 oder sogar 9 Uhr. So kam
es, daß wir manchmal erst um 10 Uhr nachts von
Basel fort - und nicht vor 12 oder 1 Uhr in
Lörrach ankamen. Er war schon älter und
brauchte weniger Schlaf; ich aber war noch jung
und hatte mehr Schlaf nötig. Deshalb ging ich
immer seltener und dann gar nicht mehr mit.
Ich war aufgeweckt, frisch, gesund und stets
heiter, aber nie ausgelassen, eher etwas zurückhaltend
und besinnlich. Die Lehren meiner Mutter
kamen mir nun zugute. Ich war ja frei wie ein
Vogel und ganz mir überlassen. Ich hatte niemand
mehr, der auf mich acht gab und mich vor
den vielen Gefahren warnte, in die ein junger,
freier Mensch geraten kann, wenn er unter
leichtsinnigen jungen Leuten lebt. Die gute Erziehung
meiner Mutter hat mich vor vielem
bewahrt. Ich habe vieles gesehen, was ich nicht
zu sehen wünschte, und vieles gehört, was ich
besser nicht gehört hätte. Aber auch das hatte
sein Gutes: Ich lernte, Licht vom Schatten, das
Gute vom Bösen zu unterscheiden. So wurde ich
nicht nur an Wissen, sondern auch um manche
Erfahrung reicher.

Wie ich schon bemerkt habe, ging ich am 24.
August 1862 von Lörrach fort. Der Meister wollte
mich nicht fortlassen, weil ich nun richtig
eingearbeitet war. Aber ich wollte noch mehr
sehen. Darum ging ich wieder nach Basel, wo ich
mich nun schon auskannte. Am 27. August 1862
kam ich zu Meister Jakob Böhm in der Äschenvorstadt
in Arbeit.

Auch er hatte eine schöne Werkstatt mit fünf
Gesellen. Leider war er kränklich und starb
schon im Herbst. Die Witwe stellte einen Werkführer
namens Groschopf ein, der in Basel
verheiratet war, aber aus Schiltach stammte. Wir
waren also Landsleute. Er war mir deshalb sehr
zugetan, aber auch, weil ich Zeichnungen lesen
und danach arbeiten konnte. Ich bekam die besseren
Arbeiten. Auch der Lohn war bedeutend

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