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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/kraez_06/0066
Konstanz, von Konstanz mit dem Schiff nach
Meersburg, wo ich einen Schulkameraden gleichen
Alters, Jakob Höni, abholte. Da wir uns
bereits um einen Tag verspätet hatten, fuhren
wir eilends zurück nach Konstanz und von da
mit der Postkutsche über Stockach, Spaichingen,
Rottweil nach Oberndorf. Im Schwarzwald hatte
es damals ungemein viel Schnee. Wir mußten
deshalb ab Spaichingen einen Extra-Postschlitten
nach Rottweil nehmen und ebenso von Rottweil
nach Oberndorf. Am 1. März 1865 kamen
wir nachts um 2 Uhr bei der Post in Oberndorf
an. Da die Musterung bereits um 8 Uhr begann,
gingen wir nicht mehr ins Bett, sondern blieben
in der geheizten Wirtsstube sitzen. Am Morgen
stellten wir uns ans Fenster und sahen zu, wie die
Rekruten unter Singen und Jodeln ortschaftsweise
auf Wagen einfuhren. Mir war ganz eigentümlich
zu Mute. Schlag 8 Uhr ging es ab auf das
Rathaus. Alle waren schon oben, von den Landjägern
hinaufgetrieben, was mich eigenartig berührte
, denn ich war damals in solchen Dingen
sehr empfindlich.

Wir fragten gleich nach der Gruppe aus Fluorn
und kamen gerade recht zum Verlesen. Sofort
nach dem Aufruf mußte jeder eine Nummer
ziehen; ich zog Nummer 25, also eine ganz niedere
. Wer eine hohe Nummer gezogen hatte,
war frei. Sofort nach der Ziehung ging die Musterung
los, und zwar schubweise je 10 Mann. Ich
kam mit dem dritten Schub dran und wurde für
tauglich erklärt, was ich nicht für möglich hielt.
Ich hatte während der Musterung fingieren wollen
. Ein Nebengeselle aus Lörrach war nämlich
bei den Dragonern in Konstanz Soldat gewesen.
Derselbe hatte öfters erzählt, daß alle Schreiner
vom Militär freikämen, man müsse es nur richtig
angehen. Er selbst habe einige gekannt, die freigekommen
seien. Alle Schreiner seien nämlich
etwas schief, krumm und gebückt von der Arbeit
an der Hobelbank. Die rechte Achsel sei immer
etwas nieder, der rechte Fuß stehe immer einwärts
und der linke auswärts. Man müsse also
nur die Stellung an der Hobelbank einnehmen
und durchhalten. Ich merkte mir das damals gut
und glaubte, es fertigzubringen, wenn es mit mir
einmal so weit komme. „Die dummen Schwaben
sollen Dich nicht kriegen!", dachte ich bei mir.
Ich hatte ja nicht umsonst hart an der Hobelbank
gearbeitet. Gedacht, getan! Ich mußte einige
Schritte hin- und hermarschieren und fiel dabei

sicher nicht aus der Rolle. Etwas mußte an meinem
Krummsein schon dran sein. Denn ich mußte
mich sofort flach auf eine Bank legen, damit
der Arzt mit einem Maßband meine beiden
Beine nachmessen konnte. Nun mußte ich nochmals
hin- und hergehen. Der Arzt ergriff die
beiden Achseln und maß dieselben ebenfalls
nach. Dann lächelte er, klopfte mir auf die Schulter
und sagte ganz freundlich: „Sie können machen
, was Sie wollen, Sie sind dennoch tauglich!"
Die anderen Herren lachten ebenfalls. Nun war
ich der Dumme!

Eine eigentliche Heimat hatte ich in Fluorn nicht
mehr. Dennoch ging ich mit meinen Kameraden,
von denen ich seit Jahren keinen mehr gesehen
hatte, dorthin. Einige waren mir in der Zwischenzeit
über den Kopf gewachsen, was mir
komisch vorkam. Denn bei der Konfirmation
war ich der zweitgrößte, nun einer der mittleren
. Ich ging also in meine alte Heimat nach
Fluorn. Heimat bleibt Heimat, selbst wenn es nur
ein Steinhaufen ist, wo man als Kind gespielt hat.
Auch die Mädchen, mit denen ich einst herumgesprungen
war, sah ich gerne wieder. Sie hatten
sich sehr entwickelt und waren nun stark und
kräftig. Ich wurde von meinem Stiefvater aufgenommen
und erhielt bei ihm eine Unterkunft.
Am 9. April 1865 mußten wir schon einrücken.
Mir war es recht, daß es so schnell ging. Aus
Fluorn wurden vier Soldat. Wir wurden ober-
amtsweise auf Leiterwagen nach Stuttgart gefuhrt
. Unterwegs waren wir zweimal einquartiert
. Der Landjäger-Stationskommandant brachte
alle aus dem Oberamt in den Kasernenhof.
Dort mußten wir uns aufstellen und wurden
unsere Namen verlesen. Dann kamen Offiziere,
zuerst von der Artillerie, dann von der Reiterei
und den Pionieren und schließlich ein Tambour-
Major, welche ihre Leute aussuchten. Was übrigblieb
, kam zur Infantrie. Der Rest unseres Oberamtes
kam zum 3. Inf. Regiment. Ich kam zur 8.
Kompanie. Welche Veränderung in solch kurzer
Zeit! Vor kurzem noch der freie Schweizergeist,
der „Heckergeist", und nun diese Zwangsjacke!
Am Anfang glaubte ich, daß ich so etwas nicht
aushielte. Vier Jahre Freiheit und freier Geist
und nun auf einmal strammes Lernen und Folgen
! Das ging zu schnell, der Umschlag kam zu
rasch. Meine Kameraden taten sich da leichter,
weil sie nie freiere Verhältnisse erlebt hatten,
(wird fortgesetzt)

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