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Schultheiß Eberhardt:
MEINE LEBENSZEIT (2. Fortsetzung)
In Heft 5 wurde mit dem Abdruck des 1. Teils der Lebenserinnerungen von Schultheiß Eberhardt
(1844-1922), die er schlicht „Meine Lebenszeit" nannte, begonnen. Darin erzählte er von seiner
Kindheit und Schulzeit in Fluorn, seiner Schreinerlehre in Dornhan und seinem Auszug als
Handwerksbursche im Jahre 1861. In Heft 6 folgte sein Bericht über seine Gesellenzeit in Südbaden
und in der Schweiz, angereichert mit mancherlei politischen und privaten Erfahrungen. Um nicht als
Deserteur zu gelten, mußte er 1865 zur Rekrutierung in das Oberamt Oberndorf zurückkehren, wo
er gemustert und zum 3. Infanterieregiment nach Stuttgart einberufen wurde. In dem nun folgenden
3. Teil berichtet er von seiner Soldatenzeit, dabei besonders von der Schlacht bei Tauberbischofsheim
im „Bruderkrieg" 1866, von seiner Rückkehr in das Zivilleben nach seiner Entlassung und —
seiner ersten großen Liebe.
Ich kam in die 3. Obermannschaft. Der Obermann
, der uns einexerzierte und dressierte, hieß
Gauckel. Er war ein Maurer vom Heuberg, ein
sauberer, schlanker Mann, der aber nicht gerne
arbeitete. Mit seiner Bildung war es nicht weit
her, das Exerzierreglement jedoch beherrschte
er. Am Anfang tat ich mich schwer, später habe
ich alles gut und leicht begriffen und angepackt,
wenn auch mit Mißmut und Widerwillen. Dennoch
habe ich nie eine Strafe bekommen, nicht
einmal einen Zimmerdienst. In der Instruktionsstunde
konnte ich rasch die richtigen Antworten
geben, so daß Feldwebel, Leutnant und Hauptmann
mich gleichermaßen ins Auge faßten.
Nach einem dreiviertel Jahr wurde ich auf die
Vorschlagsliste für die Ernennung zum Unteroffizier
gesetzt. Glücklicherweise verriet mir das
mein Oberfeldwebel. Ich war zunächst ratlos.
Die Unteroffiziere mußten damals sechs Jahre in
der Linie bleiben. Ich wäre dabei sicher unglücklich
geworden, denn ich konnte mein Handwerk
und hatte meine Freude daran. Außerdem wollte
ich ein freier Mann sein. Da kam Hilfe in der Not!
Ich war ja Schreiner und konnte gut polieren.
Mein Oberfeldwebel war mit einer stillen, braven
Frau verheiratet und wohnte in der Kaserne.
Ich bekam Urlaub, um ihm seine Möbel herzurichten
und aufzupolieren. Die Frau Oberfeldwebel
, die keine Kinder hatte, war, wie es die
Weiber so haben, neugierig und fragte mich, als
ich alleine bei ihr arbeitete, nach meinen
Verhältnissen, meinen Eltern, meiner Heimat
und meinem Vorleben, sogar, ob ich auch schon
eine Mädchenbekanntschaft gehabt hätte. Ich
habe der Frau daraufhin mein Herz ausgeschüttet
und meine Verhältnisse geschildert. Sie nahm
sichtlich Anteil an meinem Schicksal, wurde zutraulich
und steckte mir hie und da etwas zu,
Socken, Taschentücher und Unterhosen.
Aber ich hatte nur einen Wunsch: Mit meinen
Kameraden wieder beurlaubt und schließlich
entlassen zu werden. Ich bat die Frau auf den
Knien, es ihrem Mann, dem Oberfeldwebel, beizubringen
. Er solle alles versuchen, für mich
einen Weg zu finden, daß ich nicht bleiben
müsse, denn das wäre mein Unglück. Die Frau
machte ihren ganzen Einfluß auf ihren Mann
geltend. Er meinte, es sei nur noch schwerlich
etwas zu ändern. Es gebe nur noch eine Möglichkeit
: In den nächsten Tagen würden wieder zwei
neue Hornisten gezogen, weil die alten im
Herbst fortkämen und beurlaubt würden. Wenn
ich musikalisch sei und eine gute Lunge hätte,
hätte ich vielleicht eine Chance. Darüber habe
aber der Kapellmeister und Regimentstambour
zu verfügen. Er wolle mich auf der Kanzlei in
Vorschlag bringen. Die Frau muß im stillen für
mich gesprochen haben, denn ein paar Tage
später mußte ich zum Kapellmeister zur Probe,
die ich ohne weiteres bestand. Ich wurde gleich
notiert und eingereiht. Wir hatten jeden Tag drei
bis vier Stunden zu üben. Mein Gewehr mußte
ich abgeben; ich bekam dafür ein kleineres,
einen sogenannten Stutzer. Nun war ich also
Hornist! Bei der Kompanie konnte mir niemand
mehr etwas anhaben. Wir hatten besondere
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