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Da in St. Louis keine Arbeit zu finden ist, geht er
wieder aufs Land und verdingt sich bei einem
amerikanischen Farmer in der Nähe von Fayette-
ville, 30 Meilen von St. Louis entfernt. Er muß
dort Land urbar machen, bekommt aber einen
guten Lohn und wird ordentlich behandelt. Da
niemand in der Familie Deutsch kann, muß er
sich nun ernsthaft um das Englische bemühen.
Mit einigem Erfolg, wie man aus den in seinen
Briefen immer häufiger auftretenden Amerika-
nismen ersehen kann! - Am Schluß des Briefes
wettert er noch gewaltig gegen die Mormonen,
die seit kurzem der Regierung Schwierigkeiten
machten, weil sie sich nicht an die Gesetze
hielten und Vielweiberei trieben.
Am Ostersonntag 1858 erhält er über seine Vettern
in Baltimore endlich Post aus Schramberg,
und zwar gleich drei Briefe und bald darauf
nochmals einen. Er bestätigt deren Empfang im
Brief vom 12. Dezember(!) und gibt unumwunden
zu, daß er gerne Angehörige hier hätte. Er
meint aber, daß die Eltern für die Strapazen der
Auswanderung schon zu alt seien und auch Bruder
Albert allein keine Chance habe. Ferdinand
und den jüngeren Geschwistern gesteht er eine
solche durchaus zu.
Auch in seinem nächsten Brief, datiert vom 27.
September 1859, äußert er diese Ansicht, nun
allerdings unter Angabe von Gründen: Albert sei
nämlich schwerhörig und würde sich daher in
Amerika schwertun. Ferdinand dagegen, der daheim
als Taglöhner arbeiten müsse, und Bernhard
sowie Theresia könnten es packen. Er wolle
ihnen, obwohl er selber keine sichere Existenz
habe, gegebenenfalls etwas Reisegeld schicken.
Die Lage der Familie muß zu diesem Zeitpunkt
alles andere als rosig gewesen sein, denn sonst
hätte man sich nicht mit dem Gedanken an
Auswanderung getragen. Karl August ist sehr
besorgt wegen der Nachricht von der großen
(Hungers-)Not und schweren Krankheit (Ruhr-
Epidemie) in der Heimat. Dann geht er mit sich
selbst hart ins Gericht. „Was meine Geistesstimmung
betrifft, so gestehe ich, ich habe manche
schwere Stunde, wenn ich denke an Euch, meine
Lieben, so weit entfernt von Euch allein in einem
fremden Lande und bin genöthigt, bei fremden
Leuten mein Brot zu verdienen und besonders,
wenn ich denke, wie ich meine Jugendjahre
besonders in diesem Lande so vergeudet habe...
Wenn ich, seyd ich in Amerika bin, beständig in
einer Gegend gearbeitet hätte... könnte ich jetzt
eine ansehnliche Summe Geld oder was Eigenes
haben." Und nicht nur dies, denn nach mehr als
den erforderlichen fünf Jahren im Land hätte er
sogar schon die amerikanische Staatsbürgerschaft
erwerben können!
Trotz der Einsicht in die Notwendigkeit, endlich
irgendwo seßhaft zu werden, war er im Frühjahr
200 Meilen nördlich in die Gegend von Jackson-
ville gezogen und hatte dort vier Monate lang auf
einer Farm gearbeitet. Dort hatte er auch einen
fürchterlichen Sturm erlebt, der die meisten
Häuser zerstörte, einen Großteil des Viehs
vernichtete und viele Menschenleben forderte.
Im August war er wieder in die Gegend von
Fayetteville, wo es ihm besser gefiel, zurückgekehrt
. Hier nun mußte er zunächst pflügen und
dann „Klafterholz" machen. Da er sich in der
Familie wohlfühlt, will er den Winter über dableiben
.
Am Heiligen Abend 1859 — wir können uns
denken, wie ihm zumute ist — schreibt er erneut.
Tags zuvor hat er zwei Briefe von daheim erhalten
, wovon der eine zwei Monate, der andere
einen Monat unterwegs gewesen war. Aus letzterem
erfährt er, daß seine Mutter verstorben ist.
Diese Nachricht trifft ihn schwer, und er tröstet
sich mit dem Gedanken, daß sie nun „dieses
Jammerthal verlassen (hat) und hinüber geschieden
(ist) in ein besseres Land, wo kein Todt
und keine Trennung mehr ist". Außerdem erfährt
er, daß Ferdinand, der ja auch Rotgerber ist, im
nächsten Jahr das Geschäft des Vaters übernehmen
will. Er erklärt sich damit einverstanden,
möchte aber wissen, wie hoch sein Anteil ist.
Über sich selbst hat er nicht viel zu berichten. Er
ist noch beim selben Farmer, der allerdings seinen
Besitz verkaufen will, um sich in Texas, wo
das Land weitaus billiger und besser ist, neu
anzusiedeln. Er will Karl August kostenfrei dorthin
mitnehmen. Und dieser ist nicht abgeneigt,
weil er hofft, sich dort „leicht etwas Eigenes
erwerben" zu können.
Auf den Tag genau ein Jahr später, am 24. Dezem-
; ber 1860, schreibt er wieder, ohne seither Post
» aus Schramberg erhalten zu haben. Dieser Brief
ist sein letztes Lebenszeichen! Mit dem Frühjahr
war er trotz aller besseren Einsicht wieder nach
dem nördlichen Illinois aufgebrochen und hatte
sich dort als Erntearbeiter verdingt. Und wieder
hatte ihn eine schwere Erkrankung — wahr-
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