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der Anerkennung dafür. Das pädagogische Konzept
von David Fuchs ist uns glücklicherweise in
seiner eigenen Handschrift erhalten. Es wurde
bei den Vorbereitungen zu dieser Arbeit entdeckt
. Am 4. Oktober 1864 schreibt er:
„Die Ordensgenossenschaft zu Heiligenbronn
hat sich zur Aufgabe gestellt, die ihr anvertrauten
Kinder für Gott und die Welt zu erziehen,
darum die verwahrlosten Kinder der Verwahrlosung
zu entreißen und zu braven, brauchbaren
Dienstboten heranzubilden; die Taubstummen,
sofern verwahrlost, gleichfalls der Verwahrlosung
zu entreißen, zum menschlichen Bewußtsein
zu bringen und sie zu befähigen, mündlich
und schriftlich sich ausdrücken zu können, sowie
auch zu den einzelnen Arbeiten zu qualifizieren
."
Die religiös-sittliche Erziehung der „vollsinnigen
" Mädchen und der Behinderten ist dabei
allen anderen Zielen übergeordnet. Mittel waren
: Tägliche Gottesdienste, Gebete, Unterricht,
pädagogische Aufsicht durch die Schwestern
(besonders Förderung des geschwisterlichen
Umgangs und Unterbinden von Streit und des
Gebrauchs mitgebrachter Schimpfwörter etc.),
Betreuung von jüngeren durch ältere Schüler,
Gruppen- bzw. Partnerarbeit. Wichtige weitere
Ziele waren ihm Ordnung und Sparsamkeit.
Anders als die Fürsorge des Jahrhunderts vor
ihm lehnte Fuchs einen ausbeuterischen Einsatz
seiner Zöglinge in manufaktureller Produktion
ab (zur Zeit der Abfassung dieses Programms
blühte auch im Schramberg der beginnenden
Industrialisierung die Kinderarbeit):
„Die Kinder werden angehalten zur Erlernung
und Übung lauter solcher Arbeiten, die den Kindern
selbst von wahrem bleibendem Nutzen
sein werden, weshalb sogenannte Fabrikarbeiten
wie Strohflechten etc. ganz ausgeschlossen
sind. Die Kinder werden also angehalten zu den
Hausarbeiten, wie in Zimmerreinigung, in der
Küche helfen etc. Dann werden sie und zwar alle
angehalten zum Nähen, Spinnen, Stricken, den
Sommer über werden dieselben verwendet je
nach Alter und Kräften zum Sammeln von Holz
(Reisig und Tannenzapfen), von Beeren, zum
Ähren- und Kartoftellesen auf den eigenen Feldern
, die größeren aber zur Wäsche, zu den
Ökonomiearbeiten, zur Besorgung des Stalles."
Auf diese Weise konnten die Kinder auch zu
ihrem Unterhalt beitragen. Hervorstechende
Geschicklichkeit in einer Technik wurde besonders
gefördert. Der Anstaltsleiter bemühte sich
selbst, die zu Dienstboten ausgebildeten Mädchen
bei befreundeten Pfarrern in Lebensstellungen
unterzubringen. Besonders groß war seine
Freude, wenn er einem seiner Mädchen das
Ordenskleid überreichen konnte - ein wichtiges
Zeichen dafür, welchen Wert er hinter allen
wohlklingenden Worten diesen Kindern wirklich
beimaß.
Die meisten dieser Kinder kamen direkt „aus der
Gosse", einige waren durch ihren Lebensweg —
nach unseren Maßstäben — schwer erziehbar
geworden, ungefähr ein Drittel der Elementarschüler
von 1866 war unehelich geboren, manche
waren von entnervten Pflegeeltern bereits
aufgegeben worden. Wohl aus dem Wissen um
seine eigene Herkunft vermochte Fuchs in jedem
Kind Persönlichkeit und Wert zu entdek-
ken, statt von der hohen Warte des professionellen
Pädagogen aus zu handeln oder die scheinheilige
Entrüstungshaltung seiner Zeitgenossen
zu teilen. Er liebte seine Kinder und bemühte
sich, sie durch verschiedene Formen der Anerkennung
zu fördern, er erwies sich mit harten
Strafen aber auch ganz als Kind seiner Zeit.
Neben der „weiblichen Hand" der Ordensfrauen
müßten die Kinder auch die „männliche Hand"
fühlen. Diese „Familienvorstellung" war nicht
nur auf das 19. Jahrhundert beschränkt.
Sein Herz gehörte den Hilflosesten, und das
waren seiner Ansicht nach die Taubstummen.
Bei diesem Thema konnte er mitten in einem
sachlichen Statutenkatalog in sentimentale Reflexion
abgleiten. Auch diese scheinbare Schwäche
zeigte seine menschliche Größe.
(wird fortgesetzt)
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