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gel sitzen und jedem Geschädigten durch
Geldbußen Sühne geleistet sei, wäre endlich
die schauderbare Kriegsschuld abgetragen.
Aber damit ist eben der Kernpunkt der
Schuld nicht berührt. ... Wohl bin ich dafür,
daß unser Volk sich reinigt... Aber wer trägt
nun die Schuld selbst? ... Deshalb kann man
von den Schuldigen keine freiwillige Beichte
fordern. Die Beichte kann ich nur von mir
fordern in einem mea culpa... Noch eines
muß ich Ihnen zu bedenken geben... Vorwärts
sollten wir schauen und die Zeichen am
Himmel deuten, in denen sich neue noch
größere Schuld zusammenballt. In der Atombombe
zieht sich ein Gewitter zusammen...
Wir sehen die Gefahr heraufziehen, hören
von Riesenarsenalen... trösten uns mit papierdünnen
Vernunftgründen..."
Diese Aktualisierung der Schuldthematik und
ihre Ausweitung auf momentane politische Szenarien
verrät Weitblick und ist für einen Deutschen
(da außerhalb der militärischen Atomgesellschaft
) nicht unproblematisch. Andererseits
ist es wohl kein Zufall, daß in demselben Monat
(Oktober 1964) Heinar Kipphardts Warnung
vor der politisch-militärischen Nutzbarmachung
wissenschaftlicher Atomforschung in Form seines
Dramas „In der Sache J. Robert Oppenheimer
" in München uraufgeführt wird.
Während aber Kipphardt erst mit seinem postum
aufgeführten Drama „Bruder Eichmann"
(1983) auf den unabdingbaren persönlichen
Schuldrest hinweist („Bruder" als Metapher für
Mitschuldigsein), bezieht Erath bereits 1964 alle
in diese Schuld mit ein.
Von ganz anderer inhaltlicher Gewichtung ist
ein Brief aus der erstgenannten Gruppe des Onkels
Franz Eble an seine Schwester Maria vom
10.6.1928. Darin heißt es u. a.:
„... Hinter Deinem Leiden steckt natürlich
der Vinzenz. Er ist es, der die Kopfgrippe so
bösartig macht. Vom Herzen gehts in den
Kopf. Du bist eben Mutter. Ich habe, Gott
verzeihs mir, kein Mitleid mit ihm, wenn er
auch trostlose Tage mitmachen muß. Ich
könnte vielleicht eher Teilnahme fühlen,
wenn er einen Grund zum Austreten gehabt
hätte, wie der Sohn des Martin Röscheisen.
Aber Ihr dauert mich. Und Euch, nicht ihm
zulieb, lege ich 50 M bei, damit Ihr Eurem
Herzen Genüge leisten könnt..."
Dieser Briefauszug mit Bezug auf den Austritt
Vinzenz Eraths aus dem theologischen Konvikt
(Priesterseminar) bestätigt die schroffe Ablehnung
, die der Dichter durch seine Familie nach
dem Abbruch des Theologiestudiums erfuhr.
Im zweiten Band der Trilogie, „Das blinde
Spiel"11), werden diese Ereignisse etwas zeitversetzt
geschildert. Die historischen Fakten werden
in dem Roman dadurch dramatisch gesteigert
(Spätjahr - „kalte Weihnacht" - Tod des
Lieblingsonkels, in Wirklichkeit starb Karl Eble,
alias „Onkel Simon", bereits fünf Jahre zuvor,
1923).
Trotz allem Unverständnis des Onkels Franz erscheint
er im Buch versöhnlicher - er segnet
den Neffen - während der historische Brief nach
der oben zitierten Stelle abrupt zu der schwärmerischen
Schilderung einer Wallfahrt nach Einsiedeln
übergeht und die menschliche Tragödie
um Vinzenz Erath gedanklich rasch zurückläßt.
Anmerkungen:
1 Die Ausstellung fand vom 10.4. bis 25.5.1988 im Sitzungssaal
der Ortsverwaltung Waldmössingen statt.
2 Der Nachlaß befindet sich im Besitz von Herrn Dr. med.
Hans Paul Eble, Ravensburg, der der Gemeinde Waldmössingen
vier Briefe überließ, die alle in einem gewissen
Zusammenhang mit Vinzenz Erath stehen. Die vier
Briefe datieren vom 6.2.1909, 16.11.1927, 10.6.1928
und 15.8.1928. Die Bekanntmachung des Nachlasses
verdankt der Autor Herrn Otto Dieringer, Sulgen, der
sich um die Ahnenforschung der Familie verdient gemacht
hat.
3 Vinzenz Erath „Größer als des Menschen Herz", Tübingen
1951, S. 204 ff.
4 Siehe hierzu die Herleitung des Namens „Menton" in
„V. E. - Eine Dokumentation", Hrsg. Förderverein zur
Heimatpflege Waldmössingen, 1988, S. 20/21.
5 Paul de Lagarde (eig. Bötticher), 1827-1891, dtsch. ev.
Orientalist, Schwankerzählungen und Fabeldichtungen.
6 Die Auflagen von Hölderlins „Hyperion" hatten im Zweiten
Weltkrieg eine nie mehr erreichte Höhe.
7 Der Brief ist zweiseitig handschriftlich und tintengeschrieben
.
8 Vinzenz Erath „So hoch der Himmel", Tübingen 1962.
9 ebenda, S. 410
10 Der Schriftwechsel besteht aus drei Briefen, einer davon
ist von V. Erath. Während es sich bei dem Brief Eraths um
einen unsignierten Durchschlag handelt, sind die beiden
anderen maschinengeschriebene Originale. Sie befinden
sich im Besitz der Witwe Edith Erath.
11 Tübingen 1954
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