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Bis zur Hochzeit wohnte ich nun allein in dem
Haus. Von den wenigen Habseligkeiten abgesehen
, war es, wie schon gesagt, ganz leer. Wenn
ich im Hause herumging, dröhnte es wie in einer
Kirche oder Halle. Dennoch war ich glücklich,
weil ich nun endlich das hatte, was ich seit
meinem 14. Lebensjahr schmerzlich vermißte
und wonach ich mich so sehr sehnte: ein Haus,
eine Heimat.
Wie bisher ging ich zur Arbeit in die Geißhalde,
das nun schon drei Jahre, denn ich hatte einen
guten Verdienst. Dennoch paßte mir manches
nicht mehr: der tägliche weite Fußweg, der
Dampf und Staub in der Werkstatt etc. Auch
wurden nun neue Bestimmungen eingeführt
und eine Fabrikordnung erlassen, was es früher
nicht gegeben hatte. Das Geschäft vergrößerte
sich nach amerikanischem Muster zusehends.
Nun wurden laufend ungelernte Leute eingestellt
. Bisher hatte man, von einigen Taglöhnern
abgesehen, nur Handwerker genommen. Sogar
Mädchen wurden nun für leichtere Arbeiten
geholt. Die Arbeitszeit mußte genau eingehalten
werden, Eingangstore wurden errichtet und
Portiers aufgestellt. Bei Verspätung gab es Strafe.
Jeder bekam eine Nummer, die auf Blech gestanzt
war. Ich nahm die meinige nicht an, weil
ich mir als einer der ersten gelernten Schreiner
noch eine gewisse Freiheit erlauben konnte. Als
Paul Landenberger, damals der einzige Buchhalter
, die Tochter von Erhard Junghans heiratete,
brach bei mir wieder das alte Verlangen, frei und
unabhängig zu sein, durch. Ich und der Landenberger
kannten einander gut, ebenso war es mit
Arthur Junghans, der auf meinen Schultern öfters
turnte, denn das hatte ich ja als Soldat
gelernt. Paul Landenberger war damals als kaufmännischer
Leiter die Hauptperson: jung, energisch
, scharfsinnig und tüchtig, eine ausgezeichnete
Arbeitskraft. Ich sagte ihm, ich könne die
Arbeitszeit und die anderen Bestimmungen
nicht immer genau einhalten, ich würde aber in
weniger Zeit soviel leisten wie andere in der
vollen. Das wurde zwar zugegeben und auch
anerkannt, doch Landenberger meinte, man dürfe
keine Ausnahme machen, das gebe nur Ärger
und gehe einfach nicht mehr. Das sah ich ein!
Nun mußte ich mich für das eine oder andere
entscheiden. Ich entschloß mich, zu Hause zu
bleiben und als Schreinermeister auf eigene
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