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allmählich das Vertrauen. Nach einem Jahr konnte
und mußte ich bereits einen Gesellen und
einen Lehrling einstellen. Insgesamt habe ich
deren zwölf ausgebildet, manchmal drei gleichzeitig
. Das war keine Kleinigkeit. Solange ich
mein Geschäft führte, also 35 Jahre lang, hatte
ich ununterbrochen fremde Leute im Haus.
Ende Mai 1874, in demselben Monat also, in dem
ich mich selbständig gemacht hatte, war in Sul-
gau Schultheißenwahl. Der Schultheiß Hils hatte
abgedankt, weil ihm das Gehalt zu niedrig war.
Und um Aufbesserung hatte er, wie es schien,
nicht nachsuchen wollen. Das hatte ihm sein
Stolz verbeten. Andererseits wollte ihm das Bürgerkollegium
von sich aus nicht mehr anbieten.
Denn dieses bestand damals aus lauter dickköpfigen
Bauern. Im Grunde dankte er in der Annahme
ab, er werde, weil sonst niemand für die
Stelle da sei, wiedergewählt und dann komme
die Aufbesserung von selbst. Er sollte sich aber
täuschen, denn er wurde nicht mehr gewählt.
Bei der Wahl erhielt
Johannes Wößner, Bauer
und Gemeinderat 48 Stimmen
Wendelin Mauch, Unotwirt 36 Stimmen
J. G. Eberhardt, Schreiner 12 Stimmen
Da ich nicht bürgerlich war, hatte ich nicht
wählen dürfen und mich als Fremder auch gar
nicht um die Wahl gekümmert. Am Tag der Wahl
stand ich wie stets in meiner Kammer an der
Hobelbank und arbeitete flott drauflos. Um halb
elf Uhr stand plötzlich der Büttel (Amtsdiener)
Kammerer vor mir und sagte, ich müsse sofort
zum Herrn Oberamtmann auf das Rathaus kommen
. Ich äußerte, daß ich dort nichts zu suchen
hätte. Doch der Büttel betonte nochmals, daß er
vom Oberamtmann den Auftrag habe, den Eberhardt
sofort auf das Rathaus zu bringen. Daraufhin
zog ich mich schnell um und ging auf das
Rathaus. Dort traf ich den Oberamtmann Löf-
lund sowie die Wahlkommission: Schultheiß
Hils, Unotwirt Mauch als ältesten Gemeinderat,
Christian Fader von Hintersulgen als Obmann
des Bürgerausschusses und den Gemeinderat
Johannes Wößner. Der Oberamtmann fragte
mich nach Name, Alter und Stand und teilte mir
sodann mit, daß ich bei der Wahl die dritthöchste
Stimmenzahl erhalten hätte. Die Anzahl der
Stimmen verschwieg er jedoch. Nun wollte er
wissen, ob ich gegebenenfalls bereit wäre, die
Wahl als Schultheiß anzunehmen. Wößner und
Mauch mit mehr Stimmen hätten die Wahl bereits
angenommen. Auch ich mit den drittmei-
sten Stimmen müsse mich nun erklären. Die
Regierung könne nämlich nach dem Gesetz unter
den ersten drei auswählen, wen sie bestätigen
wolle.
Ich war völlig überrascht, denn an so etwas hatte
ich nicht gedacht. Ohne langes Zögern sagte ich
nein und begründete dies so: ich sei hier noch
fremd und außerdem zu jung; ich sei noch nie im
Kollegium auf dem Rathaus gewesen; die
Verwaltung und die Einwohnerschaft seien mir
fremd und ich sei eben im Begriff, eine Schreinerei
zu gründen. Das alles passe nicht zu einem
Ortsvorsteher. Außerdem hätte ich mein Anwesen
erst kürzlich erworben und müsse noch mit
Schulden kämpfen. Dennoch wolle ich den Wählern
danken, die mir ihre Stimme gegeben und
damit ihr Vertrauen ausgesprochen hätten. —
Dies alles trug ich ruhig, ernst, sachlich und
bescheiden vor. Der Oberamtmann hörte mich
ruhig an und musterte mich wiederholt, während
ich sprach. Die anderen Anwesenden, namentlich
Mauch und Fader, warfen sich gegenseitig
Blicke zu und lächelten spöttisch über
meine Äußerungen, was mir nicht entging, aber
auch nicht, wie mir schien, dem Oberamtmann.
Was dieses spöttische Zwinkern und Lächeln
sollte, wußte ich nicht, konnte es mir aber denken
: Der fremde, junge, arme Kerl soll Schultheiß
werden. Undenkbar! — Damals galt bei diesen
Leuten nämlich nur der als geeignet, der den
größten Misthaufen vor dem Haus hatte. Der
Oberamtmann schrieb meine Angaben wortgetreu
nieder, danach las er mir die Niederschrift
vor. Ich mußte unterschreiben und durfte dann
wieder gehen.
Danach wurde es wieder ruhig. Ich hörte nichts
mehr davon. Allgemein glaubte man, daß Wößner
Schultheiß werde. Er wäre es wohl auch
geworden, traute sich aber nicht, weil er den
Gemeinderat und Unotwirt Mauch fürchtete.
Wie mir sein Weib, die Gret, wie sie allgemein
genannt wurde, später verriet, habe ihr Mann
vom Tag der Wahl an vor lauter Angst nicht mehr
gegessen und geschlafen. Da habe sie zu ihm
gesagt, er solle schleunigst nach Oberndorf gehen
, denn wenn er nicht mehr esse und schlafe,
könne er auch das Amt nicht übernehmen. Außerdem
gebe es viel zu viel Arbeit auf dem Feld.
Daraufhin sei er nach Oberndorf gegangen und
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