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Schultheiß Eberhardt:
MEINE LEBENSZEIT (Schluß)
In Heft 5 wurde mit dem Abdruck der Autobiographie von Schultheiß Eberhardt, von ihm selbst
„Meine Lebenszeit" genannt, begonnen. Er berichtet darin zunächst von seiner Kindheit in Fluorn
und seiner Schreinerlehre in Dornhan. In Heft 6 erzählt er sodann von seinen Erlebnissen und
Erfahrungen als Handwerksbursche in Südbaden und in der Schweiz. In Heft 7 schildert er seine
Soldatenzeit mit der Teilnahme am „Bruderkrieg" von 1866 und seine Rückkehr ins Zivilleben.
Heft 8 enthält seinen Bericht von der Arbeit in der „Geißhalde", von der Existenzgründung in Sulgau
und den scharfen Auseinandersetzungen bei der dortigen Schultheißenwahl im Jahre 1874.
In dem nun folgenden Schlußkapitel beschreibt er ausführlich die turbulenten Vorgänge bei seiner
Vereidigung und die Bestrafung der „Übeltäter". Es folgt sein Bericht über die anfänglichen
Schwierigkeiten als Schultheiß bis hin zu den wiederum äußerst dramatischen Gemeinderatswahlen
von 1875. Eberhardt beschließt seine Biographie mit einem Rückblick auf seine jahrzehntelange
Tätigkeit als Schultheiß und seine familiären Sorgen und Nöte. In einem Nachwort, das er wohl kurz
vor seinem Tod verfaßt hat, zieht dieser aufrechte und gottesfürchtige Mann mit einfachen Worten
die Bilanz seines langen, mühseligen Lebens.
Gleich nach meiner Ernennung hatte das Oberamt
den Zeitpunkt meiner Vereidigung festgelegt
, nämlich den 8. August 1874, vormittags
halbelf. Ich wurde drei Tage vorher durch den
Amtsdiener gegen Unterschrift geladen. Gefaßt,
wenn auch mit gemischten Gefühlen, ging ich zu
meiner Vereidigung auf das Rathaus. Der Oberamtmann
war noch nicht da, wohl aber mein
Vorgänger, Schultheiß Hils, und der Amtsdiener.
Später kam noch ein Mitglied des Bürgerausschusses
, Kaspar Wößner vom Lienberg, hinzu.
Endlich kam auch Oberamtmann Löfrund mit
der Rottweiler Post an. Er trug einen kleinen
Koffer, auf dem ein Degen festgeschnallt war. Es
war nämlich damals noch Vorschrift, daß der
Oberamtmann zur Vereidigung eines Ortsvorstehers
in Uniform (Hauptmannsrang), d.h. mit
Rock, Mütze und Degen, zu erscheinen hatte.
Der Oberamtmann ging daher sogleich in das
Nebenzimmer, nahm Rock und Mütze aus dem
Koffer und schnallte den Degen um. In voller
Uniform kam er ins Amtszimmer zurück, setzte
sich und verlangte von meinem Vorgänger das
Gemeinderatsprotokoll. Als dieses übergeben
war, wollte er das Protokoll über meine Vereidigung
vorbereiten. Er griff nach dem Federhalter
und steckte ihn in das Tintenfaß, aber, o weh, die
Tinte war eingetrocknet. Wütend sprang er auf,
gab dem Stuhl einen Stoß, daß dieser an die
Wand flog, nahm den Federhalter und feuerte
ihn unter den Tisch. Mit einem Satz war er um
den Tisch herum und stand nun mitten im Zimmer
. Hils, Wößner und ich waren ganz verblüfft.
Im Kugelregen war ich nicht so zusammengezuckt
wie jetzt vor dem Zorn des Oberamtmanns
. „Es ist doch eine Schule hier, wo man
Tinte braucht", schrie er, und sogleich wurde
der Amtsdiener gerufen, um welche zu holen.
Als diese dann endlich herbeigeschafft war, setzte
sich der Oberamtmann wieder und verfaßte
ein kurzes Protokoll. Nun sollte zur Vereidigung
geschritten werden. Der Amtsdiener wurde erneut
gerufen, um die bürgerlichen Kollegien zu
holen. Doch erneut o weh! Der Amtsdiener meldete
, es sei niemand da. Und wieder packte den
Oberamtmann der Zorn. Ich stand erneut betroffen
da und wünschte im stillen, in Sibirien zu
sein oder gar dort, wo der Pfeffer wächst. Ich
bereute schon fast, zum ganzen ja gesagt zu
haben.
Der Oberamtmann forderte von Hils eine Erklärung
, warum niemand da sei. Doch dieser zuckte
nur mit den Achseln und erwiderte, er wisse es
nicht. Das brachte den Oberamtmann noch
mehr auf. Voll Wut schrie er: „Das ist eine schöne
Wirtschaft hier! Wo wohnen die Leute?" Hils gab
zur Antwort: „In Schönbronn, in Hintersulgen,
im Beschenhof, hier in der „Unot" der Mauch
und da drüben der Wößner." Sofort mußte der
Amtsdiener Mauch und Wößner holen. Mauch
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