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war nicht zu Hause, wahrscheinlich absichtlich
fort, Wößner dagegen kam sofort mit dem Amtsdiener
. Auf die Frage des Oberamtmanns, auf
wann er geladen worden sei, gab er unumwunden
zu, auf halbelf. Er habe aber schon eine
geschlagene Stunde an seinem Stubenfenster gewartet
, bis die anderen kämen, um nicht der
erste zu sein. „Schon gut", meinte der Oberamtmann
und wandte sich nun an mich: „Ich kann
Sie als Schultheiß vereidigen, nicht aber als
Ratschreiber. Dazu muß laut Gesetz das gesamte
Kollegium anwesend sein. Ich werde aber dafür
sorgen, daß gerade Mauch, der älteste Gemeinderat
, Sie in der ersten Sitzung als Ratschreiber
vereidigen muß, denn er trägt auch die Hauptschuld
am Nichterscheinen der Kollegien. Ich
werden Sie nun als Schultheiß vereidigen." Er
sprach die Eidesformel vor, und ich hatte sie
nachzusprechen. Als das Protokoll unterzeichnet
war, entließ er die beiden Wößner. Dann
packte er die Uniform wieder in seinen Koffer,
schnallte den Degen darauf und ließ ihn vom
Amtsdiener zur Post nach Schramberg bringen.
Dann forderte er meinen Vorgänger Hils auf, mir,
dem neuen Schultheißen, die Schlüssel zu übergeben
und die Registratur mitsamt den Büchern
zu zeigen. Hils zog die Schlüssel, die mit einer
Schnur zusammengebunden waren, aus seiner
Tasche und warf sie so heftig auf den Tisch, daß
sie aufsprangen und auf den Boden fielen. Im
nächsten Augenblick war er durch die Ratszimmertür
verschwunden. Doch der Oberamtmann
setzte ihm nach, holte ihn ins Zimmer zurück
und sagte zu ihm: „Ich hätte gute Lust, Sie für Ihr
Benehmen zu bestrafen. Statt dessen haben Sie
dafür zu sorgen, daß alle Mitglieder der Kollegien
, die heute gefehlt haben, morgen mit der
Post nach Oberndorf in meine Kanzlei kommen.
Damit sind Sie entlassen!"
Inzwischen hatte ich die Schlüssel vom Boden
aufgehoben und an mich genommen. Der Oberamtmann
bat mich nun, abzuschließen und mit
ihm zu kommen. Ich war ganz verstört, die
Vereidigung und die Vorgänge darum herum
hatten mich arg mitgenommen. Ich schloß ab
und folgte dem Oberamtmann wie ein Hund, der
geschlagen worden war. Er ging hinüber zum
„Bären". Als wir in den Hof vor der Wirtschaft
traten, kam uns der Wirt Haller, der früher Landjäger
gewesen war, entgegen, um uns zu begrü-
Ortsmitte von Sulgau (um 1910)
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