http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/kraez_10/0084
Karten gespielt und auch gesungen, was viel zur
Erhaltung alter Volkslieder beitrug. Die Armen
hatten in ihrer Nachbarschaft sogenannte Freisitze
, d.h. sie durften unangemeldet erscheinen
und waren niemandem lästig. Auf diese Weise
konnten sie sich kostenlos wärmen; sie waren
selbstverständlich „lichtfrei". Zudem durften sie
auch noch beim Nachtessen mithalten.
Schon des öfteren wurde die Frage aufgeworfen,
wo das ganz alte Rathaus gestanden habe. Viele
glauben immer noch, daß es das heute Herrn
Stange gehörige Haus sei, weil sich darauf ein
Türmchen befindet. Dem ist aber nicht so! Die
Schramberger hatten bis zum Jahr 1832, wo der
erste Schultheiß gewählt wurde, kein Rathaus.
Erst 1833 wurde durch die Gemeinde das Gasthaus
„Zum Ochsen" erworben und zum Rathaus,
wie es heute noch ist, umgebaut. Solange
Schramberg österreichisch war, unterstanden
die Bürger dem Gräfl. Patrimonialgericht, welches
anno 1809 aufgelöst wurde, nachdem
Schramberg durch den Preßburger Frieden am
26. Dezember 1805 württembergisch geworden
war. Schramberg blieb bis 1810, als Hornberg an
Baden fiel, dem Oberamt Hornberg zugeteilt.
Danach kam es zum Oberamt Oberndorf. In
dieser Zeit gab es hier ein Kgl. Unteramt, dessen
Kanzlei sich im Haus der Witwe Strnad gegenüber
dem Rathaus befand.
Unsere Erzählung entstammt teils Familienchroniken
, teils den wahrheitsgetreuen Berichten
inzwischen Verstorbener. Aus verständlichem
Grund müßten einige Namen geändert werden.
Damit alte Sitten und Bräuche, die Schramberger
Mundart und frühere Originale nicht ganz der
Vergessenheit anheimfallen, damit die Jugend
erfährt, daß auch unsere Vorfahren einen harten
Kampf ums Dasein führen mußten und daß nicht
immer derjenige, der viel besitzt, sondern häufig
sogar derjenige, der wenig Ansprüche an das
Leben stellt, der Genügsame also, der Glücklichere
ist, wurde die folgende Erzählung geschrieben
.
Der Ruech
Ein Altschramberger Bilderbogen
I
Der Tag Mariä Heimsuchung (2. Juli) des Jahres
1817 neigte sich seinem Ende zu, als unter dem
großen Scheunentor der Wirtschaft „Zum Engel
", dessen Besitzer der frühere Talvogt und
jetzige Schultheiß von Schramberg Anton Jeggle
war, eine größere Anzahl von Männern und Frauen
in ernstem Gespräch beieinanderstanden.
Dieses drehte sich um das Wetter. Den ganzen
Tag über hatte es ohne Unterbrechung geregnet,
und man sah es den abgemagerten Gesichtern
an, daß sie mit Angst und Sorge zum Abendhimmel
hinaufschauten, ob sich die schweren Wolken
nicht bald verzögen. Der Krämer Leopold
Kern, ein braver und allseits geachteter Mann,
gesellte sich zu ihnen. Als er die Ursache ihres
Kummers erfuhr, tröstete er sie, indem er darauf
hinwies, daß bis jetzt noch gar nichts auf den
Feldern verdorben sei und der Stand der Früchte
zu den schönsten Hoffnungen berechtige. Da
sagte die Säger-Weberin, die auch bei der Gruppe
stand: Ja, wär hüt nu it Mariä Heimsuchung,
no hett i au no Hoffnung, daß s'Wetter wieder
änderst wurd. Aber so, wie d'Mueter Gottis
s'Wetter hot, wenn sie übers Gebirge zu der
Elisabeth goht, so blibt es halt ällmol, bis sie
wieder derhoam isch, und seil goht sechs Woche
." Die Zuckerbäckerin, dem Geigis-Bäcker
(heute „Uhu") sein Weib, meinte darauf: „I glaub
doch, daß es wieder besser wurd, hüt und ge-
stert hot gar nie koan Hammauch in der Back-
stub pfiffe, und uff seil ka mer gugge." Als es dann
gleich darauf vom Kirchturm 9 Uhr läutete, ging
eins wie das andere der Heimat zu, nicht ohne
vorher sich gegenseitig Gute Nacht zu wünschen
und dem hinzuzufügen, daß man den alten
Gott walten lassen und das Beste hoffen wolle.
II
Es war in den letzten Tagen des Juli. Seit fast vier
Wochen war andauernd schönes Wetter. Da der
Luftzug stets von Osten kam, war es nie übermäßig
heiß, was/den* Leuten beim Einbringen der
Ernte sehr zugute kam, denn so schwere Garben
wie diesmal waren in vielen Jahrejij nicht mehr
von den Feldern heimgefahren worden. Wenn
man in anderen Jahren drei Garben zu einem
Sester Frucht brauchte, genügten diesmal
eineinhalb. Und zudem waren sowohl Gerste als
auch Roggen viel früher reif. Der erste der drei
freigebigsten Heiligen, der Brotjockel (St. Jakob
), hatte überall schon sein Werk vollendet
und die Scheunen reichlich gefüllt. Wenn der
Weinmichel (St. Michael) seine Sache auch so
gut machte, hatte man Hoffnung, daß, nachdem
82
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/kraez_10/0084