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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/kraez_11/0072
Karoline Grüner

DER RUECH

Die Autorin hat diese Erzählung, mit deren Abdruck in Heft 10 begonnen wurde, einen „Altschram-
berger Bilderbogen" genannt. Sie hat damit eine Bezeichnung gewählt, die von der Sache her Unsicher
noch vertraut war: Märchen, Sagen, Legenden auf bunten Druckbogen, also Bildergeschichten,
wie sie vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der sie ihre Geschichte spielen läßt sehr
beliebt waren. Sie hätte ihre Erzählung nicht treffender charakterisieren können, denn jeder
Fortschritt in der Handlung kommt einem neuen Bildchen gleich, und wie bei den alten Bilderbogen
ist die Liebe zum Detail unverkennbar Eine Welt im Kleinen, eben ihre Welt! Betrachten wir mit
Wohlgefallen die Fortsetzung ihres Bilderbogens, und erfreuen wir uns an dessen Farbigkeit!

IV

Im Jahre 1829 hatte sich der Winter frühzeitig
mit großer Strenge eingestellt. Schon Mitte November
lag der Schnee ellenhoch auf den Straßen
und Feldern. Der Kirchenbach und der Mühlegraben
waren fest zugefroren. Es hatte Grundeis
. Den Buben und Mädchen war deshalb von
den Eltern und Lehrern erlaubt worden, darauf
zu glutten.

Im Hause des Webers Johann Vollmer saßen am
Abend des Cäcilientages (22. Nov) in der unteren
Stube der Weber, sein Weib sowie deren drei
Töchter beim Nachtessen, welches aus Suppe,
Kartoffeln und Milch bestand. Ein weiterer Teller
stand noch unberührt. Bei dem leisesten
Geräusch blickten alle zur Tür, offensichtlich
erwarteten sie noch jemand.
Als sich aber auch nach längerem Warten niemand
einstellte, sagte Vollmer, man solle nun zu
Nacht beten, weil später noch ein Lichtgang
kommen könne. Als das Gebet beendigt war,
räumten die Mädchen den Tisch ab: Die erste
mußte das Geschirr spülen, die zweite im Stall
nach dem Rechten sehen, die dritte am Brunnen
noch einige Gelten Wasser holen.
Vollmer holte hinter dem Ofen ein größeres
Stück fettes Kienholz hervor, schnitt kleinere
Stückchen davon ab, schlug mit seinem Taschenmesser
, einem Kieselstein und einem Stückchen
Zunder Feuer. Unter beständigem Blasen gegen
den Zunder brachte er ein Stückchen Kienholz
zum Brennen. Dann legte er dasselbe in die
Leuchte neben dem Ofen und schürte mit weiterem
Holz nach, bis das Feuer die Stube und
besonders den Tisch erhellte. Als die Mädchen

wieder am Tisch saßen und Kittel strickten, sagte
der Weber: „So, jetzt muaß die Monika die
Gschicht von der Heilige Cacilia vorlese!" Er
holte ein Buch vom Brett über der Stubentür und
gab es Monika. Als das Vorlesen beendigt war,
meinte er: „Lind jetzt müeßet Ihr mir ein schönes
Lied vorsinge, weil die Heilige Cäcilia die Patronin
vom Gsang isch!" Die Mädchen fragten, wras
sie singen sollten, und kicherten dabei, weil sie
schon im voraus wußten, welches Lied der Vater
wünschen werde. „Singt: Hier sitz' ich auf Rosen,
mit Veilchen bekränzt", sagte der Vater und wollte
wissen, was sie so lustig fänden. Monika, die
älteste, antwortete: „Mir sollet seil singe, und Ihr
sitzet doch uff dr Ofebank und hont e Zipfelkapp
uff." Vollmer erwiderte kurz: „Singet Ihr nur, es
isch mer glich, wie die Vers hoaßet, mir gfällt halt
d' Wising von dem Lied so guet."
Die Mädchen hatten kaum den letzten Vers ausgesungen
, als der Stricker Lepolde Xaver (Haas)
in die Stube trat. Jetzt hent Ihr aber schee
gsunge, i han zueghorcht im Husgang. I han
gmoent, dr Matthis sei derhoam, sunscht hett i
Euch nit gstört", sagte der Xaver. „Du hesch üs it
gstört", meinte darauf der Vater, „s'isch üs it so
arg ums singe, mer wisset gar it, wo der Matthis
so lang bleibt der Obed, er isch no it emol zum
Esse hoamkumme. Es wurd em doch nint passiert
si!" Während sie noch rätselten, wo wohl
der Matthis sein könne, kam dieser zur Tür herein
. Auf die Frage der Mutter, wo er so lange
gewesen sei, gab er zögernd zur Antwort: „In dr
Steingutfabrik bin i gsi. Wär i nu au nie do na
gange, do sieht's ebbis glich!" Verwundert schauten
ihn alle an. Sie konnten es nicht begreifen,

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