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daß es ihm dort nicht mehr gefalle. Er hatte
bisher stets den Besitzer der Fabrik als auch die
Arbeit dort gelobt, sich über den zwar geringen,
aber dafür sicheren Lohn gefreut und dem Vater
gegenüber oft geäußert, daß er froh sei, mehr als
ein Weber zu verdienen. Man habe ihm sogar
einen höheren Verdienst in Aussicht gestellt,
wenn die Geschäfte einmal besser gingen. Warum
nun plötzlich dieser Umschwung? Der Xaver
wollte sich entfernen, weil er glaubte, der Mat-
this wolle vor ihm vielleicht nicht sagen, was ihn
bedrücke. Doch dieser bat ihn zu bleiben, da er
seiner Hilfe bedürfe. Dann berichtete er, daß ihn
die Nanni (Frau Faist) am Abend zu sich in die
Stube gerufen und ihm unter Tränen gestanden
habe, daß es um das Geschäft sehr schlecht stehe.
Sie seien in großer Geldverlegenheit. Größere
Verluste seien ihnen durch Händler entstanden,
die sie mit Geschirr an den Bodensee und in die
Schweiz geschickt hätten. Der eine, ein früherer
Nebenarbeiter von Isidor (Faist), als dieser noch
in der Steingutfabrik in Zell am Harmersbach
gearbeitet habe, habe in Schafthausen nicht nur
das Geschirr, sondern auch noch Roß und Wagen
verkauft und sei mit dem Geld spurlos
verschwunden. Der andere, ein Hiesiger, sei mit
dem Fuhrwerk bei St. Gallen verunglückt. Als er
eine Steige hinaufgefahren sei, sei die „Migge"
(Bremse) gebrochen, der Wagen sei nicht mehr
aufzuhalten gewesen, das Geschirr sei total zertrümmert
und die Pferde arg zerschunden worden
. Zudem sei das Fuhrwerk noch gegen ein
Haus gerannt, was weitere Unkosten verursacht
habe. Zu allem Unglück brächten sie seit einigen
Wochen keinen rechten Brand mehr fertig, nur
Ausschußgeschirr komme aus dem Ofen. Vor ein
paar Tagen habe man wieder einen Ofen voll
Geschirr gerichtet und damit das letzte Vermögen
eingesetzt. Wenn es diesmal wieder nicht
gut ausfalle, sei man gezwungen, das Geschäft
aufzugeben. Sie könnten die Schande nicht ertragen
, vor den Bekannten als Bankrotteure dazustehen
. Deshalb habe sie zwei Koffer mit den
allernötigsten Kleidern und einem Bett gepackt.
Die Nanni habe ihn gebeten, die Sachen um elf
Uhr, wenn alles zu Bett gegangen sei, mit einem
Schlitten zu holen. „Damit niemand merkt, wohin
wir mit dem Schlitten fahren", schloß Matthis
trotzig, „tun wir so, als ob es zum Spaß wäre:
Monika, Kathrine und Theres setzen sich drauf,
der Xaver und ich ziehen ihn."
Nachdem Vollmer und die übrigen ihr Bedauern
über diese Not ausgesprochen hatten, meinte die
Vollmerin, sie sollten alle niederknien und drei
Vaterunser zum Herrgott beten. Denn es gehe
nicht nur um die Nanni und ihren Mann, sondern
auch um die Arbeiter, die dadurch brotlos
würden.
Als das Gebet beendigt war, sagte der Xaver:
„S'isch jetzt erseht neine, mir müeßet aber bis
elfe ufblibe. Legt üer Gstrick weg, dann ziehe mir
Mühlstein um Nüsse." Die Kathrine fragte erstaunt
: „Woher Nüsse nee, s'isch jo no nit Klause-
maerkt." Da legte der Xaver eine Handvoll auf
den Tisch und erzählte, daß er dieselben vom
„Schnitzmale" gekauft habe, den Hocken (4
Stück) für einen halben Kreuzer, als derselbe mit
dem hinkenden Hirten von Dunningen, der
einen Schlitten voll Kernen nach Hornberg geschafft
habe, die Steig hinaufgefahren sei. Trotz
Abb. 1: Die untere Alte Steige im Winter (um 1910).
Links der „Zähringer Hof", rechts das Cafe Wölb er
(Archiv C. Kohlmann)
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