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sie ihm nachschaute und dann mit Tränen in den
Augen aus der Stube ging. Wenn es Tag war, ging
Wilhelm ruhig am Haus vorbei. Oft mußte er
aber schon vor Tagesanbruch nach Rottweil zur
Schranne, um Frucht zu kaufen. Dann knallte er
so heftig mit der Peitsche, daß nicht nur das
ganze Küferhaus, sondern auch die Nachbarschaft
davon aufwachte. Da zu jener Zeit kein
heiratsfähiges Mädchen in der Umgebung war -
die Monika, des Vollmers Älteste, hatte auf dem
Ball der Ledigen ihren Hochzeiter, einen Arbeiter
in der Steingutfabrik, gefunden und war
schon seit dem letzten Mai verheiratet —, fand
man schnell heraus, wem das Knallen der Peitsche
galt. Es war deshalb auch ein offenes Geheimnis
, warum er seine Pferde nicht mehr wie
früher beim Schmiedkasper, sondern zuoberst
an der Steig beim großen Schmied beschlagen
ließ. Zuletzt kam das auch seinen Eltern zu
Ohren.
Schwere Kämpfe hatte Wilhelm fortan zu bestehen
. Seine Mutter, sonst eine herzensgute Frau,
konnte es nicht begreifen, daß ein Abkömmling
einer alteingesessenen Familie sich soweit
vergessen konnte, die Tochter eines Mannes, der
als mittelloser Küfergeselle in den Ort gekommen
war und dazu noch eine einfache Dienstmagd
geheiratet hatte, zur Frau zu nehmen. Und
von seinem Vater konnte er schon des Erbes
wegen keine Einwilligung erhoffen.
Der Küfer Franz Prechter stammte von Erd-
mannsweiler bei Villingen. Nachdem er hier einige
Jahre als Geselle gearbeitet hatte, lernte er
seine Frau, die Dienstmagd im „Lamm" war, kennen
. Sie hieß Veronika Storz und stammte von
braven, aber armen Eltern, die auf der Hutneck
ein kleines Häuslein besassen. Aus diesen armseligen
Verhältnissen hatte sie dennoch einen großen
Reichtum mitbekommen: eine tiefe christliche
Erziehung.
Als an der Steig infolge des Todes des Eigentümers
ein Haus nebst Ökonomie frei wurde, konnten
die beiden das Anwesen erwerben. Sie hatten
es nämlich dank großer Sparsamkeit zu einigen
hundert Gulden gebracht. Franz betrieb nun neben
der Ökonomie sein Geschäft, kam aber trotz
allem Fleiß und trotz der Sparsamkeit und Tüchtigkeit
seiner Frau nicht recht voran. Schuld
daran waren die schlechten Zeiten. Kriegswirren
verursachten stete Teuerung und beeinträchtig-
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Abb. 2: Die untere Alte Steige (um 1905). Links „Gasthaus zum Adler", rechts (teilweise verdeckt) „Hotel Lamm"
(Archiv C. Kohlmann)
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