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Wahl von 1906 den Arbeitersekretär J. Andre „in
das Rennen". Schon im ersten Wahlgang erhielt
er die meisten Stimmen, aber noch nicht die
erforderliche absolute Mehrheit. Bei der Nachwahl
siegte er mit knappem Vorsprung vor seinem
Gegenkandidaten Hartmann (Abb. 9).
Als Abgeordneter im Stuttgarter Landtag machte
sich der tatendurstige Neuling schon bald einen
Namen, weil er bei seinen Debattenbeiträgen nie
„ein Blatt vor den Mund nahm", wenngleich ihm
wegen seiner Jugendlichkeit und Herkunft aus
dem Arbeiterstand gewichtige Vorurteile entgegenstanden
. Doch seine stichhaltig begründeten
Ausführungen waren schwer zu widerlegen, so
wenn er etwa gegen den Klassenkampf zu Felde
zog, den „Terrorismus" der Gewerkschaften anprangerte
, seinen politischen Gegnern unsoziales
Verhalten anlastete, Auswüchse des Kapitalismus
verurteilte oder gegen die Vorenthaltung
der Gleichberechtigung für die arbeitende Klasse
kämpfte. Immer löste der Zentrumsabgeordnete
Andre lebhafte Debatten im „Hohen Haus"
aus, wo er nach seinen eigenen Worten stets
„Hammer", nie aber „Amboß" sein wollte (Abb.
10). Bei der Wahl von 1912 kandidierte er mit
Erfolg gegen den SPD-Kandidaten Leo Ganter,
seinen früheren Meister.
Nach dem verlorenen Krieg und der Abschaffung
der Monarchie galt es, im Deutschen Reich und
in den einzelnen Ländern demokratische Institutionen
zu schaffen.
Als sehr erfahrener und stets engagierter Abgeordneter
bemühte sich J. Andre um einen Sitz in
der verfassunggebenden Landesversammlung.
Die Zentrumspartei setzte ihn auf Platz 6 der
Landesliste. Damit war seine Wahl gesichert. In
einer langen, leidenschaftlich geführten Rede in
der ersten Sitzung jenes Gremiums am 28. 1.
1919 verlangte J. Andre die Abschaffung der an
manchen Orten noch immer herrschenden Rätewirtschaft
. Er sprach sich gegen jede Art von
Klassenkampf und Parteidiktatur aus und wandte
sich gegen alle Bestrebungen einer radikalen
Sozialisierung. Als Wortführer des linken Flügels
der Zentrumsfraktion mußte er immer wieder
sehr viel Zeit und Kraft aufwenden, um seine
eigenen Kollegen von der Richtigkeit seiner Anschauungen
zu überzeugen.
Josef Andre war von 1919 bis 1933 Mitglied des
württembergischen Landtags und ab 1924 sogar
dessen erster Vizepräsident. Bereits in den 20er
Jahren wies der Abgeordnete Andre in seinen
Landtagsreden immer wieder auf die Gefahr des
Rechtsradikalismus, vor allem des Nationalsozialismus
, hin. Als im Jahre 1921 der frühere Reichsfinanzminister
Matthias Erzberger von Rechtsradikalen
ermordet wurde, hielt er in Göppingen,
Eßlingen und Schramberg mutige Protestreden
Abb. 8: Der damalige württ.-bad. Wirtschaftsminister J. Andre (Mitte) bei einem Besuch am 10.9.1949 in
Schramberg. Links daneben Otto Klaußner, vorne Raimund Jegglin und Alfred Rapp, rechts (von hinten)
Landolin Hermann, Hermann Ragg3 Richard Glenz und Albert Wößner
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