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Abb. 11: Fraktion der Christi. Volkspartei (Zentrum) in der Weimarer Nationalversammlung mit Josef Andre (4),
Adolf Gröber (10), Matthias Erzberger (13), Joseph Wirth (14), Eugen Bolz (16), Wilhehn Marx (52) u.a.
und verteidigte die von Erzberger geforderte
Unterzeichnung des Versailler Vertrages.
Doch das Rednerpult im „Halbmondsaal" des
Württembergischen Landtages genügte dem
Vollblutpolitiker J. Andre in jenen Jahren des
politischen und staatlichen Auf- und Umbruchs
nicht, er wollte „ganz oben" mitreden und noch
größere Verantwortung übernehmen. Er bewarb
sich daher 1919 um einen Sitz in der verfassunggebenden
Nationalversammlung in Weimar. Die
Zentrumspartei sicherte ihm mit dem 3. Platz auf
der Landesliste hinter Staatssekretär Adolf Gröber
und dem bisherigen Reichstagsabgeordneten
Matthias Erzberger eine sichere Wahl (Abb.
11). Damit wurde auch sein großes Engagement
im Wahlkampf, wobei er zahllose Versammlungen
abgehalten sowie Flugblätter verfaßt und
verteilt hatte, gewürdigt. Über die jeweilige Landesliste
sicherte die Zentrumspartei ihrem
kämpferischen Abgeordneten J. Andre von 1919
- 1930, als er sich nicht mehr aufstellen ließ, um
seine ganze Arbeit auf den Landtag zu konzentrieren
, stets einen sicheren Sitz im Reichstag.
Dort wirkte er vor allem tatkräftig bei der Vorbereitung
des Arbeitslosenversicherungsgesetzes
mit, das 1927 in Kraft trat und in den dann
folgenden Jahren der Massenarbeitslosigkeit seine
Bewährungsprobe bestand. Die vielfachen
sozialpolitischen Probleme der ausgehenden
20er Jahre fanden bei ihm besondere Beachtung.
Er griff sie bei jeder Gelegenheit auf und suchte
unermüdlich nach Lösungen (Abb. 12).
Im Berliner Reichstag mahnte der Abgeordnete
Andre unermüdlich zur Besonnenheit im Parteienstreit
, zur Mäßigung im Ausdruck und zur
Verantwortung gegenüber Volk und Staat. Seine
mutigen Reden trieben seine Gegner nicht selten
auf die „Barrikaden", sie drohten ihm einmal
- es war am 7. 6. 1932 - sogar mit Erhängen.
Nach der Wiederzulassung politischer Parteien
durch die Besatzungsmächte im Jahre 1945 war
J. Andre der erste, der in Nordwürttemberg den
Anstoß zur Gründung einer interkonfessionellen
christlichen Partei gab und nach erfolgter Gründung
der CDU auch zu deren erstem Vorsitzenden
gewählt wurde (Abb. 13). Als am 22. 7. 1945
in Berlin die CDLJ auf Bundesebene ins Leben
gerufen wurde, war J. Andre neben Jakob Kaiser
u. a. deren Mitbegründer. In zahllosen Zeitungsaufrufen
forderte er alle christlichen, sozialen
und demokratischen Kräfte zur Sammlung und
tatkräftigen Mitarbeit beim Wiederaufbau des
Staates auf.
Am Rande jenes CDU-Gründungsparteitages hatte
J. Andre ein unvergeßliches Erlebnis: Die Teilnehmer
wurden von dem für den betreffenden
Berliner Bezirk zuständigen russischen Befehlshaber
, Oberst Tulpanow, zu einem Essen eingeladen
, wobei der Gastgeber, eben jener Oberst
Tulpanow; in seiner Tischrede seiner Verachtung
gegenüber den Deutschen in überdeutlichen
Worten Ausdruck verlieh und seine Gäste
mit üblen Schimpfworten bedachte, was bei seinen
Offizieren ausgelassene Freude, bei den
deutschen Gästen jedoch tiefe Betroffenheit auslöste
. Der Aufforderung des Gastgebers an seine
Gäste, nun ebenfalls eine Tischrede zu halten,
wollte niemand nachkommen, auch der Vorsitzende
J. Kaiser nicht.
Da erhob sich J. Andre, dankte für die Einladung
und das reichliche Mahl, erldärte sich jedoch mit
den Ausfuhrungen seines Gastgebers keineswegs
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