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Carsten Kohlmann:
JÜDISCHE KAUFLEUTE UND VIEHHÄNDLER
IM RAUM SCHRAMBERG (1. Teü)
Anfang Dezember 1941 begann die Deportation der Juden aus Württemberg. Sie wurden zunächst in
ein Sammellager auf dem Stuttgarter Killesberg gebracht. Es waren Menschen, die nicht hatten
emigrieren können und seit kurzem einen gelben Stern auf ihrer Kleidung tragen mußten. Die
meisten von ihnen kamen bei der Deportation nach Riga oder in den Konzentrationslagern Majdanek
und Theresienstadt ums Leben.
In Erzählungen älterer Leute aus unserer Gegend hört man heute noch manchmal von jüdischen
Stoffwaren- und Viehhändlern, die im Alltag der von der Landwirtschaft und der Arbeit in den
Uhrenfabriken lebenden Dorfbewohner eine wichtige Rolle spielten. Das Schicksal dieser Menschen
wurde in der Regionalgeschichte bisher übersehen oder verdrängt. Auf der Grundlage kritisch
untersuchter Quellen und von Zeitzeugenbefragungen hat der Autor in den vergangenen drei Jahren
versucht, die Geschichte dieser jüdischen Händler und die Entwicklung der Judenfeindschaft bis zur
nationalsozialistischen Judenverfolgung im Raum Schrämberg zu dokumentieren. Die als Handelsjuden
bezeichneten jüdischen Geschäftsleute und Viehhändler stießen oft bei der einheimischen
Bevölkerung auf Ablehnung. Obwohl diese auf die weitreichenden Geschäftsverbindungen der
jüdischen Händler angewiesen war, brachte sie für deren andersartige Religion und Lebensweise
kein Verständnis auf. Von dem sich 1821 über die Handelsjuden im Marktflecken beschwerenden
Kaufmann Ferdinand Wolber bis zu den juden feindlichen Zeitungsartikeln über jüdische Viehhändler
auf den Schramberger Viehmärkten um die Jahrhundertwende wurden immer wieder religiös und
vor allem wirtschaftlich bedingte Vorurteile laut. In der Zeit des Nationalsozialismus verdichtete sich
diese judenfeindliche Grundhaltung zu einem antisemitischen Feindbild, das zunächst zur Ausgrenzung
aus der Gesellschaft und schließlich zur Deportation in die Vernichtungslager führte.
Markt- und Zollordnungen
der Herrschaft Schramberg
In der Gesellschaftsordnung des Mittelalters gehörten
die Juden zu den Außenseitern. Ausgelöst
durch die von der Kirche und der Volksfrömmigkeit
genährte Vorstellung von der Schuld der
Juden am Tode Christi entwickelte sich seit dem
Ende des 11. Jahrhunderts eine judenfeindliche
Strömung in der Gesellschaft, die zu zahlreichen
Verordnungen führte, durch welche die Juden
vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen
wurden. Juden durften nach diesen
Gesetzen keiner Zunft angehören, keine Landwirtschaft
betreiben und mußten sich durch besondere
Kleidung wie den gelben Judenhut von
den Christen in ihrer Umgebung unterscheiden.
Die einzig mögliche Erwerbsquelle war daher
für die meisten Juden der Handel sowie der von
den Christen als Wucher angesehene und darum
verbotene Geldverleih. Im ausgehenden Mittelalter
und in der beginnenden Neuzeit übernahmen
die an Bedeutung gewinnenden Städte und
die dem Landadel gehörenden Herrschaften die
Regelung der die Juden betreffenden Rechtsgrundlagen
.1 Städte und Landesherren gingen
jedoch sehr unterschiedlich mit der jüdischen
Bevölkerung in ihrem Einflußbereich um. In erster
Linie betrachtete man die oft in geschlossenen
Wohngebieten lebenden Juden als Steuer-
und Abgabenzahler, die unbeschränkt ausgenutzt
werden konnten. In Vorderösterreich, wozu
auch die in die Grafschaft Hohenberg eingegliederte
Herrschaft Schramberg seit 1583 gehörte
, gab es einige jüdische Gemeinden. Doch
hatten die Städte Freiburg und Konstanz die
Ansiedlung von Juden bereits um 1540 untersagt
.2 Das in den Städten verfügte Niederlassungsverbot
wirkte sich auch bald auf kleinere
Herrschaftsorte wie Schramberg aus. Juden
konnten daher in dem von Bauern und Handwerkern
bewohnten Marktflecken nur sehr schwer
seßhaft werden. Für die durchziehenden oder zu
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