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Die Vorstellung von dem die Bauern betrügenden
jüdischen Viehhändler war in der Bevölkerung
weit verbreitet (Abb. 4). So meinte der
Berichterstatter des „Schramberger Anzeigers"
nach einem schlecht verlaufenen Viehmarkt:
„In Fettvieh war das Angebot schwach, der Hausierhandel
, dieser mit Recht bekämpfte Krebsschaden im \o\ks-
wirtschaftsieben, erstreckt sich in immer fühlbarerer
Weise auf den Rindviehhandel; fast täglich werden die
Viehzüchter besucht und zwar nicht etwa von unseren
Fleischern allein, denn dagegen ist gewiß nichts zu
bemerken, sondern die bekannten Händler semitischen
Stammes machen tagtäglich die Gegend unsicher und
gewiß keinesfalls zu Gunsten der Züchter. So ist es auch
erklärlich, daß verhältnismäßig wenig Vieh an den Jahrmärkten
expediert wird, während in der Zwischenzeit
beinahe jeden Tag ein Viehversand ab unserer Station
stattfindet, gewiß kein Grund, um die Hoffnung auf
billigere Fleischpreise, zumal die Futteraussichten wieder
recht gute sind, zu beleben."23
Die am häufigsten in Schramberg und Umgebung
tätigen Viehhändler waren um die Jahrhundertwende
Elias, Ludwig und Rudolf Schwarz mit
eigener Stallung im Gasthaus Mohren (Abb. 5)
und Gustav Eppstein, der sein Vieh im Gasthaus
Lamm an der alten Steige einstellte (Abb. 6). Auf
den An- und Verkauf von Schweinen hatten sich
einige christliche Händler wie Bezirksschweinehändler
Schwenk aus Aischfeld bei Alpirsbach
und Schweinehändler Blickle aus Fluorn spezialisiert
, da jüdische Händler vom Schweinehandel
Abstand halten wollten (Abb. 7). Schweinefleisch
gilt nach ihren religiösen Speisevorschriften
als „nicht koscher" und ist daher vom
Verzehr ausgenommen.
Im alltäglichen Geschäftsleben verwandten die
jüdischen Viehhändler eine eigene Umgangssprache
, die sie vom Dialekt der Einheimischen
deutlich unterschied. Lekoudesch, so nannte
sich diese Sprachfbrm, setzte sich aus verschiedenen
Bestandteilen zusammen. Die meisten
Wörter und Redewendungen wurden aus dem
Hebräischen übernommen, dem „Leschon ko-
desch", der „Heiligen Sprache", die eigentlich
dem Gebet und dem Gottesdienst in der Synagoge
vorbehalten war. Die vor den Pogromen des
17 Jahrhunderts in Polen fliehenden Juden -
spätere Familiennamen wie Lemberger oder
Pressburger weisen auf die osteuropäische Herkunft
hin — brachten zudem das Jiddische nach
Südwestdeutschland, eine Sprache, die sich aus
hebräischen, deutschen und slawischen Ausdrücken
entwickelte. Das Lekoudesch, eine re-
Abb. 9: Schlacht hofverwalte}' Albert Grüner (1879
-1951), der auch ein bekannter Doggenzüchter war
(Foto von 1928)
gionalisierte Form des Jiddischen in Württemberg
, begann sich auch bei christlichen Viehhändlern
als gerne benutzte Verständigungssprache
durchzusetzen. So hieß zum Beispiel „die
Baora isch mechetz", daß die Kuh krank sei, oder
„am Sonntef wird lou melochend", daß am Sonntag
nicht gearbeitet werde.24
1906 wurden die Viehmärkte von der Hauptstraße
auf das Gelände des neuen Schlachthofes
verlegt, wo mehr Platz vorhanden war und das
Vieh in Ställen versorgt werden konnte (Abb. 8).
Zu SchlachthofVerwalter Albert Grüner (1879
-1951) hatten die jüdischen Viehhändler besonders
gute Verbindungen (Abb. 9). Albert Grüner
wußte die Viehhändler aus dem Oberamt Horb
zu schätzen, weil sie wesentlich zum Erfolg der
Schramberger Viehmärkte beitrugen. Von ihrer
Ehrlichkeit war der Schlachthofverwalter überzeugt
. Im Gegensatz zu den oft magere und
kränkliche Kühe anbietenden Bauern aus den
Dörfern von der Höhe gab es bei den jüdischen
Viehhändlern nur in gutem Futter stehende und
gesunde Tiere, die zwar ihren Preis hatten, sich
dafür aber auch sehen lassen konnten. Im Verlauf
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