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Die Marschklänge brachten Leben in die
Hochzeitsgesellschaft. Die Stimmung wurde
noch besser, als der Zug beim „Mohren" ankam
(Abb. 1). Die Musikanten stellten sich an
der Tür auf und einer von ihnen, der Hawez,
verkündete: „So, jetzt kunnt dr Radetzky-
marsch, mir wenn schau sorge, daß ü es
tanze in d'Füeß kunnt!"
Und es kam den Leuten, vor allem den jungen
, in die Füße, denn nach dem Takt der
Musik hüpften sie die Stiege hinauf und dem
Tanzboden zu. Die Ehrentänze wurden nämlich
noch vor Beginn des Essens getanzt. Die
Alten, deren Beine zum Tanzen zu steif waren
, wiegten ihre Köpfe mit den Filzhüten im
Takt der Musik. Der Hawez brachte überall,
wo er aufspielte, Stimmung, denn er war ein
Spaßvogel. Sein Name war eigentlich Fleig.
Als Strickergeselle war er weit in der Welt
herumgekommen. Nachdem er aus der
Fremde wieder heimgekehrt war, brachte er
manchen Abend, wie damals üblich, bei
Lichtgängen mit Kartenspielen zu. Hatte er
gewonnen, so rief er in reinstem Hochdeutsch
: „Ich habe es!", was ihm, der zudem
noch sehr schnell sprach, den Spottnamen
„Hawez" eintrug.
Ähnlich verhielt es sich mit einem gewissen
Langenbacher. Derselbe war als Tuchmachergeselle
bis nach Gent in Flandern gekommen,
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wo die Samt- und Buckskinweberei in höchster
Blüte stand. Bei seiner Heimkehr wurde
er gefragt, wo er überall als Geselle gearbeitet
habe. Zutiefst beleidigt antwortete er, daß es
bei den Tuchmachern in Holland und Flandern
keine Meister wie hier gebe. Dort lebten
alle wie Fürsten, und Fürsten hätten
keine Gesellen, sondern Knappen. Deswegen
seien auch die Tuchmachergehilfen Knappen
. Von selbiger Stunde an war er der Wul-
liknapp oder auch der „Gwest", weil er,
wenn immer er von seinen Wanderjahren berichtete
, statt „gwea" „gewest" sagte.
Doch zurück zu unserer Hochzeitsgesellschaft
! Die Ehrentänze, den allernächsten
Verwandten vorbehalten, waren mittlerweile
beendet. Der junge, selbst erst seit einigen
Jahren verheiratete Mohrenwirt Nepomuk
Grüner begrüßte die Hochzeitsgäste, darunter
auch Vettern und Basen von ihm, aufs
freundlichste und geleitete sie an ihre Plätze
(Abb. 2). Er hatte ein vorzügliches Hochzeitsessen
vorbereitet, denn ihm zur Seite stand
seine junge Frau, eine Tochter des Seebenbauern
in Schappach, die sich im nahen
Rippoldsau, wo nur die allerfeinsten Herrschaften
zur Kur hinkamen, im Kochen ausgebildet
hatte. Auch die Hochzeitsgäste wußten
, daß ihnen ein vorzügliches Mahl vorgesetzt
wurde, und sie wurden nicht enttäuscht
. Der Höhepunkt des Essens, gefüllte
Kalbsbrust und Kalbskarbonaden15 mit Apfelkompott
und Endiviensalat, war gekommen,
als sich der Küfer in die Mitte der großen
Wirtsstube stellte, um eine kurze Ansprache
zu halten. Er bedankte sich dafür, daß alle Anverwandten
des Hochzeiters bereits zur Morgensuppe
gekommen seien, was er, der bislang
als unvermögender Mann gegolten habe,
ihnen besonders hoch anrechne. Er sei aber
nicht so arm, wie er bisher geschienen habe.
Er habe es bisher nur für sich behalten, um
gewiß zu sein, daß seine Tochter um ihrer
selbst willen und nicht wegen dem Vermögen
geheiratet werde. Mit wenigen Worten
erklärte er sodann, wie er zu dem ziemlich
ansehnlichen Vermögen gekommen war. Das
Erstaunen war riesengroß, als er mehrere
Tausendguldenscheine aus einer Schweinsblase
, die ihm als Geldbörse diente, herausholte
und der Magdalene als Hochzeitsgeschenk
übergab. Jetzt war auf einmal allen
klar, warum die Hochzeiterin mit den feinsten
Stoffen gekleidet war und eine so
schöne Aussteuer mitbekommen hatte. Die
Überraschung war umso größer, als noch
kurz vor der Hochzeit ein gegenteiliges Gerücht
im Ort im Umlauf gewesen war. Es war
nämlich bekannt geworden, daß der Küfer
ein Schwein hatte schlachten lassen, um damit
die Armen, die zur Morgensuppe geladen
waren, zu verköstigen, daß ferner der Fideli-
Bäck (Fidelius Langenbacher) und der Glaser-
Bäck (Neef) viele Laibe Weißbrot für ihn zur
Verteilung an die Armen hatten backen müssen
. Das konnte der Küfer - so das Gerücht -
nur, weil er entweder ungerechtes Geld hatte
oder Magdalene nach der Hochzeit alles
selbst bezahlen mußte. Diese hatte sich
selbst gewundert und ihrem Vater erklärt,
daß sie es für unnötig halte, auf einmal soviel
Geld für die Armen auszugeben. Er aber hatte
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