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Egon Herold:
HANS THOMA IM JAHRE 1868 IN SCHRAMBERG
Nicht erst seit dem Beginn des Massentourismus hat Schramberg dank seiner grandiosen Einbettung
in fünf Täler, seiner stolzen Burgruinen und seiner wildromantischen Zufahrtswege
die Besucher angelockt. Bereits in der Mitte des letzten Jahrhunderts kamen deswegen
bedeutende Leute hierher oder hier durch, obwohl Schramberg damals noch abseits der
großen Landstraßen lag: Am 12. September 1843 besuchte der damals 14jährige Anselm Feuerbach
mit seinem Freund Fritz Beck auf einer Fußreise von Freiburg nach Tübingen, über
Hornberg und den „Foren Bill" (lt. Skizzenbuch) kommend, Schramberg (vgl. „D'Kräz", Heft
4, S. 33)- Lm Frühjahr 1862 kam Viktor von Scheffel aus Tübingen, wo er den todkranken Ludwig
Uhland besucht hatte, „in die Schluchten bei Schramberg, wo der Falkenstein und Ramstein
den Untergang des sagenhaften Herzog Ernst von Schwaben erzählen" (vgl. „D'Kräz",
Heft 7, S. 67).
Der folgende Beitrag berichtet vom Besuch eines weiteren großen Künstlers, des Malers Hans
Thoma, im Jahre 1868.
Schon alt und gebeugt (Abb. 1), gegen Ende
seines Daseins, schrieb Hans Thoma seine
Lebenserinnerungen „Im Winter des Lebens".
Er erzählt darin von seiner Kindheit, seiner Heimat
in Bernau, seiner Mutter, aber auch von
dem harten und mühseligen Weg, der ihn zur
Kunst hinführte. Er berichtet von berühmten
Zeitgenossen, denen er begegnet war, und von
all den Schönheiten der Natur, die er bewundert
und gemalt hatte. Wir finden ihn in kleinen
Städten des Schwarzwaldes oder des Taunus
ebenso wie in großen Kunstzentren der damaligen
Welt.
Im Jahre 1868, am 2. Oktober, wurde Hans
Thoma 29 Jahre alt. Schon im Februar hatte er
aus Düsseldorf geschrieben, er sei fleißig am
Arbeiten, übte aber heftige Kritik an der konventionellen
Malerei der Zeit. Um der Stillosig-
keit entgegenzuwirken, sei ein eigener, selbstentwickelter
Stil notwendig, ein Sich-Freima-
chen vom herkömmlichen Schulwesen, eine
Hinwendung zum Realismus. „Er" (der Realismus
- Verf.) „ist von sehr demokratischer Natur
und wird deshalb besonders in Deutschland
das ganze Philistertum gegen sich haben",
lauteten seine Worte. Der junge, feurige Kämpfer
hatte bereits einige seiner besten Bilder gemalt
. Ein langes Leben lag vor ihm, und viele
bedeutende Werke sollten noch folgen.
Am Ostersonntag desselben Jahres kündigte
Hans Thoma in einem an Mutter und Schwester
gerichteten Brief an: „...Vielleicht gehe
ich Anfang nächster Woche mit Scholderer1
nach Paris auf drei Wochen und komme dann
über Basel heim. - Habt keinen Kummer
deswegen", und: „Paris ist ja auch der einzige
Ort, wo meine Art von Malerei anerkannt
werden kann ..."; am 15. April: „Noch immer
schwanke ich, ob ich nach Paris gehe..." Doch
wenige Tage darauf vertraute er seinem Tagebuch
an: „Um 10 Uhr am 21. stiegen wir am Gare
du Nord in Paris aus...", und schon bald unternahmen
die Freunde eine Dampferfahrt auf
der Seine. Endlich hatte Hans Thoma Gelegenheit
, den Bildern Courbets2 gegenüberzustehen
, die er tief bewunderte. Wenig später traf
er Courbet selbst. „Wir sahen den Louvre",
konnte er stolz berichten, und am 16. Mai,
nach Bernau zurückgekehrt, schrieb er: „Ich
habe vieles gelernt... den Louvre besuchte ich
fast täglich... den Frühling fand ich in Paris
wunderschön...". Am 6. Mai nahm Hans Thoma
den Schnellzug nach Basel, und am 16. befand
er sich, wie erwähnt, schon wieder in seinem
Heimatort Bernau.
Das Jahr 1868 war für den Künstler nicht so
produktiv wie viele andere Jahre. Es entstand
„Die Näherin", es entstanden Porträts, Landschaften
, ein Rosenstilleben. Vielleicht war dieses
Jahr für ihn auch ein Ruhepunkt zu Selbst-
findung und Neuanfang.
Doch was geschah in diesem Jahr 1868 in
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