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Familie, da doch der ganze Aufruhr keinen
Wert, aber schwere Folgen haben könne. Er
hatte bei der aufgeregten Menge einen schweren
Standpunkt. Das Pulver werde allmählich
heiß, schrie der „Dunenfinger", und manch gesprochenes
Wort wäre besser ungesprochen
geblieben, was die spätere Schwurgerichtsverhandlung
zeigte.
Die Schramberger verteilten sich nun auf die
verschiedenen Wirtschaften, wo sie sich vom
Inhalt ihrer Tornister gütlich restaurierten. Es
wurde gesungen, es wurden Reden gehalten
und die paar Kreuzer, die mancher in der Tasche
hatte, auf die verheißene Freiheit hin verjubelt
.
Ja, Vaterland, freue dich, deine Macht wird immer
heller! Hecker (Abb. 2), Struve1, unser
Stern, leuchten nah und fern!" So etwa hörte
man singen in den dichtbesetzten Wirtschaften
. Doch Oculi8, da kommen sie, nämlich die
Rottweiler, und im nächsten Augenblick schon
schlug der „Pudel" teufelswild seinen Trommelwirbel
durch die Straßen. Alles eilte dem
Tale zu, um den großen Anmarsch mitanzusehen
. Auch die unsrigen waren alsbald marschbereit
und zogen hinab. Sie kamen heran, doch,
o weh, es waren ihrer nur wenige. Der Zuzug
befriedigte die Schramberger keineswegs, und
die teilweise noch vorhandene Begeisterung
welkte dahin. Mancher wäre am liebsten umgekehrt
.
Es fehlte eigentlich nur noch der Regen, und
der Rückmarsch hätte begonnen. Doch das
wäre gar zu bald gewesen, dachte der eine oder
andere. Kurzum, Reue und Scham kämpften in
den Kriegerherzen, und keiner wollte offen
und frei den Vorschlag zur Umkehr machen.
Der Charakter ließ es bei manchem nicht zu,
am gleichen Tag wieder heimzukommen. Man
beschloß daher, mit den Rottweilern weiter
gegen Sulz und Horb fortzumarschieren. Unterwegs
aber gab es viele Durchbrenner19. Der
nahe Waldsaum bot eine nur allzu günstige
Gelegenheit zur Verrichtung unaussprechlicher
Bedürfnisse, um wegzukommen.
Müde, erschöpft und enttäuscht langten sie
endlich in obigen Orten an, wo abgezählt und
Nachtquartier bezogen wurde. Schlafen konnten
sie nicht. Sie dachten wohl an ihre Frauen
und Kinder zu Hause und wie sie weglaufen
könnten. Daß der ganze Plan nutzlos und verfehlt
sei, wurde ihnen immer klarer. Das sahen
zuletzt auch die Offiziere ein. Es wurde deshalb
am anderen Morgen jedem freigestellt, wie er
wieder zurückkehren wolle. Die Oberbefehlshaber
hatten wohl in einer Vorahnung Zivilkleider
mitgenommen, in denen sie dann nach
Cannstatt zur Parade weiterreisten. In der
Nacht hatten bereits viele dem Kriegshandwerk
adieu gesagt. Denn viele waren nicht
mehr da, so auch unser Wendel, der nachmalige
Amtsdiener.
Er erzählte mit köstlichem Humor, ihm sei am
Abend in Sulz der Gedanke gekommen, die Sache
sei nichts und zu dumm. Er habe daher sein
Gewehr in den Hennenstall gestellt und sei auf
die Höhe zum Schatz. Er habe gedacht, wozu
den Schießprügel mitschleppen. Er sei dann
übers Hochsträßle, Hochmössingen, Winzeln,
Waldmössingen und auf dem Fußweg nach Heiligenbronn
marschiert. Dort seien ihm schon
Kameraden, ebenfalls auf dem Heimweg, begegnet
.
Abb. 2: Friedrich Hecker (1811-81)
Foto: Archiv Gerstenberg
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