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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/kraez_16/0054
Es war am Nachmittag gegen drei Uhr, wo als erster
Ankömmling der Jakob Winter den Spittel20
hinaufging. Er hatte ein Räuschle, sakramen-
tierte21 und schimpfte auf die „Großen". Er
schoß einige Mal sein Gewehr in die Luft und
brachte schließlich den Ladestock22 nicht mehr
aus dem Lauf. Als wir Buben dies merkten, verfolgten
wir ihn bis zum Reuterbäck23.
Die Frauen atmeten wieder leichter. Die Männer
kamen alle wieder, viele aber erst abends,
um nicht gesehen zu werden. Es war aber auch
höchste Zeit. Denn ganze Regimenter Militär
aller Waffengattungen kamen hinterher. Nun
wehte ein ganz anderer Wind!
„Das Militär kommt", hieß es, und ehe man
sich's versah, waren schon zwei Kompanien
mit zwei Kanonen auf dem Heideckle24. Durch
die Schelle25 wurde bekanntgemacht, daß sofort
alle Waffen auf dem Rathaus abzuliefern seien,
was auch in kurzer Zeit geschah. Die ganze Bevölkerung
wanderte auf das Heideckle, und wir
Buben hatten die größte Freude an den schönen
Uniformen. Gegen 6 Uhr erfolgte dann der
Einmarsch in den Flecken26. Zuerst kamen die
Sapeure2, dann die Reiter mit geladenen Karabinern28
und zum Schluß die Infanterie,
während die beiden Kanonen samt Bedienung
auf dem Heideckle verbleiben mußten. Beim
Rathaus (Abb. 3) herrschte ein lebhaftes militärisches
Treiben, das aber nicht lange anhielt.
Denn schon kamen Quartiermacher mit Quartierzetteln
, und bald waren in jedem Haus zwei
oder drei Mann.

Zwetschgen gab es, so scheint's, in diesem
Herbst viele, denn die Tornister der heimkehrenden
Krieger waren damit angefüllt. Auf welche
Weise dieselben erworben worden waren,
konnte ich nicht erfahren. Sie waren für die
Kinder das „Crometsle"29 vom denkwürdigen
Feldzug. Deshalb wird auch heute noch nur
vom 48er Zwetschgenzug gesprochen.
Die einquartierten Soldaten fühlten sich bald
heimisch. Man verpflegte und verköstigte sie,
so gut man nur konnte: morgens Suppe oder
Kaffee, mittags Fleisch, Gemüse und Beilagen,
abends meist Krakauer30 und Salat. Oh, wie beneideten
wir unseren Soldaten um seine gute
Wurst! Wie gerne wären wir auch Soldat gewesen
!

Die Hauptwache war vis-ä-vis dem Rathaus31,
und zwar im unteren Stock der Konditorei. Am

Anfang ging alles gut, doch bald spürte jeder
Bürger die große Last. An eine Befreiung von
derselben war nicht zu denken. Inzwischen kamen
aber noch andere in Uniform in die Häuser
, welche die Anstifter und Rädelsführer in
Untersuchungshaft nach Rottweil abführten.
Der Jammer war groß. Das Weinen der Frauen
und Kinder ist mir unvergeßlich. Heute noch
bin ich der Meinung, daß damals etwas zu hart
verfahren wurde. In Rottweil wurden die Männer
eingesperrt, ohne Unterschied zu den gemeinsten
Verbrechern. So erzählte Buchbinder
Maier32, er sei in eine Zelle gekommen, wo
schon einer inhaftiert war. Dieser habe ihn folgendermaßen
angeredet: „So, kommst au! Hast
Du au deim Vetter sei Haus anbrennt?" Mit diesem
Kerl mußte Maier sein Lager teilen. Wochenlang
waren sie eingesperrt, ohne auch nur
in ein Verhör zu kommen.
Der damalige Abgeordnete für den Bezirk, Herr
Ratschreiber Trotter, interpellierte33 einige Male
in der Abgeordnetenkammer mit scharfen
Worten und bat inständig, man möge doch
Menschlichkeit üben und die Untersuchung
beschleunigen, doch vergebens. Sie mußten
sich in Gottes Namen in ihr Schicksal fügen und
„weiterbrummen"34. Ich erinnere mich noch
gut, wie ein Brief geschrieben und vom Reuterbäck
in einen Wecken gebacken wurde. Derselbe
wurde mit Hilfe einer Flasche Schnaps für
den Gefangenenwärter dem Küfer Schinle35 in
seine Zelle geschmuggelt. Ob der Inhalt des
Briefes seiner Verteidigung etwas genützt hat,
konnte ich nicht erfahren.
So saßen sie viele lange Wochen, bis endlich
die Schwurgerichtsverhandlung ihren Anfang
nahm. Der ganze Prozeß von 1848 wurde ausführlich
von berufener Feder in einem Buche
niedergeschrieben. Der Gerechtigkeit ist - man
mag denken, wie immer man will - zuviel
getan worden. Ein Ruhmesblatt in der Geschichte
der Justiz wird es kaum sein. Während
die Familienväter in ihrem Kerker auf dem Asperg
saßen, tobte die Revolution weiter,
hauptsächlich in dem Nachbarlande Baden, all-
wo Hecker36 mit seinen Freischaren das Volk
befreien wollte. Schlachten, Gefechte und Erstürmungen
gab's bald da und dort, namentlich
in Gernsbach, Rastatt u.s.w.
Die Preußen unter Führung des Kronprinzen
Wilhelm, des nachmaligen Kaisers, kamen dann

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