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Aus der Sicht der Lauterbacher Arbeiterbewegung
war ihre Gemeinde allerdings eine
„Hochburg der schwarzen Reaktion" (SVW
23.1.1929), da sich der größte Teil der mehrheitlich
katholischen Bevölkerung mit dem
Kirchen-, Partei- und Vereinskatholizismus
identifizierte und mit großer Geschlossenheit
Zentrum wählte (Abb. 3). Das katholische
Milieu wurzelte im Gemeindeleben der Kirche
und in der Autorität der Geistlichen, die die
Arbeiterbewegung wegen ihrer antikirchlichen
Positionen und ihrer atheistischen Weltanschauung
entschlossen bekämpften (SVW
7.2.1923). Das Vereinsleben der katholischen
Bevölkerung war ebenfalls sehr vielfältig und
in einem Kartell organisiert. Dieser Dachverband
, dem auch ein bedeutender Katholischer
Arbeiterverein angehörte, konnte 1925/1926
auch ein Katholisches Vereinshaus in der Gemeinde
errichten.17
Der Arbeitergesangverein „Freiheit"
in der Weimarer Republik
Im Ersten Weltkrieg wurden die meisten Sänger
der „Freiheit" eingezogen, so daß das
Vereinsleben eingestellt werden mußte und
einige Gefallene zu beklagen waren. 1919 wurde
der Arbeitergesangverein „Freiheit" von den
Kriegsheimkehrern wiederbelebt (SP 10.11.
1948). Der Wiederaufbau des Vereinslebens
stand daher im Mittelpunkt der ersten Nachkriegsjahre
. Erstmals trat die „Freiheit" vermutlich
wieder bei der Mai-Feier der Lauterbacher
Arbeiterbewegung am l.Mai 1919 auf (ST
3.5.1919) und dann erst wieder nach über
einem Jahr unter dem Vorsitzenden Heinrich
Hirt jun. mit einem Wohltätigkeitskonzert zu
Gunsten des „Reichsbundes der Kriegsbeschädigten
und -hinterbliebenen" sowie einer Winterfeier
(ST 18.6.1920/ST 30.11.1920). Unter
der Leitung des langjährigen Dirigenten Adolf
Rechberger zählte die „Freiheit" bald 40 Sänger
in ihren Reihen (Abb. 4). Nach der Novemberrevolution
verbreitete sich im Deutschen Arbeitersängerbund
(DAS) wie in vielen anderen
Kultur- und Sportorganisationen der Arbeiterbewegung
eine optimistische Aufbruchsstimmung
, da man glaubte, der sozialistischen Zukunftsgesellschaft
nun einen entscheidenden
Schritt näher gekommen zu sein. Dieser Optimismus
endete aber bald, weil sich die krisengeschüttelte
Weimarer Republik nur sehr langsam
stabilisieren konnte und mit der Inflation
eine tiefgreifende Katastrophe erlebte. Die
Solidargemeinschaft der Arbeiterbewegung
rückte in dieser Situation enger zusammen und
beschwor insbesondere in der Gesangskultur
ihre Zukunftsvision einer sozialistischen Gesellschaft
.18
Der Südwesten des Deutschen Reiches war mit
seinem traditionsreichen bürgerlichen Gesangvereinswesen
auch eine Hochburg der Arbeitersängerbewegung
.19 Der Gau Württemberg
des Deutschen Arbeitersängerbundes
(DAS) war in verschiedene Bezirke eingeteilt.
Der Arbeitergesangverein „Freiheit" in der
Gemeinde Lauterbach gehörte zum 8. Bezirk
des Gaus Württemberg, dem 14 Arbeitergesangvereine
mit etwa 1000 Sängerinnen und
Sängern angeschlossen waren und der seinen
Sitz in der Industriestadt Schwenningen hatte
(SVW 12.3.1927/SVW 14.12.1932). In diesem
Bezirk waren die Arbeitergesangvereine aus
der Region, wie zum Beispiel der „Freie Volkschor
" aus Schramberg oder die „Harmonie" aus
Oberndorf, vertreten, die sich auch zu Bezirkssängerfesten
trafen (SVW 5.8.1925). Die Mitgliederzahl
des Deutschen Arbeitersängerbundes
(DAS) stieg von 108000 im Jahr 1919 auf
263 700 Sängerinnen und Sänger im Jahr 1923
20
an.
Die ideologische Grundlage des Deutschen Arbeitersängerbundes
(DAS) war der Bildungsund
Erziehungsanspruch des Kultursozialismus
. Die sozialistische Gesangskultur sollte die
Arbeiter zu Klassenkämpfern des Proletariats
erziehen und ihnen in einem Gemeinschaftsritual
eine Vorstellung von der sozialistischen
Zukunftsgesellschaft vermitteln. Dieses Selbstverständnis
einer sozialistischen Gesangskultur
kam vor allem in den sogenannten „Tendenzliedern
" zum Ausdruck. Tendenzlieder
waren alle Kampflieder der Arbeiterbewegung
, die an Emotionen appellierten und wie
kaum ein anderes Symbol das sozialistische Gemeinschaftsgefühl
widerspiegelten. Die beliebtesten
Tendenzlieder stammten von dem
Komponisten Gustav Adolph Uthmann, dessen
Lieder der Gefühlswelt vieler Arbeiter
aus der Kampfzeit der Arbeiterbewegung entsprachen
. Die Motive dieser Lieder waren sehr
ähnlich. Typische Themen waren Kampfbe-
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