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Günter Buchholz:
„WELCHES ALLES BEY DEN ALTEN INHABERN DER
HERRSCHAFT NIE GEWESEN."
Die Beschwerden der gemeinen Untertanen
der Freiherrschaft Schramberg gegen Anna Merz
Vorbemerkung
In der Kräz Nr. 17 wurde der Konflikt zwischen
den Herren von Bissingen und der Mehrheit
der Bauern und Tagelöhner in der Herrschaft
Schramberg geschildert. 1662 kam eine Kommission
aus Innsbruck nach Schramberg, um in
einer förmlichen Zeugenbefragung die Klagepunkte
zu untersuchen.
Doch die Geschichte der Untertanenkonflikte
in den fünf Ämtern der Herrschaft Schramberg
reicht weiter zurück.
Aus Quellen aus dem Bestand des Reichshofrates
in Wien, deren Entdeckung der Forschungsarbeit
von Herrn Kreisoberarchivrat
Bernhard Rüth zu verdanken ist, erfahren wir,
wie sich die „gemeinen sämptlichen Un-
derthonen der Herrschaft Schramberg" gegen
eine Herrschaftsintensivierung wehrten, die,
schon von Rochus Merz eingeleitet, zu einer
unversöhnlichen Feindschaft zwischen dessen
Witwe, Anna Merz, ihren Amtleuten und Vögten
auf der einen Seite und den um ihr wirtschaftliches
Überleben kämpfenden Untertanen
auf der anderen Seite führte.
Im folgenden konzentriere ich mich auf eine
Bittschrift der Untertanen, die, da in ihr auf den
„lö.Decembris des verloffenen 70er Jahrs" Bezug
genommen wird, auf Anfang 1571 zu datieren
ist. Am 28. März 1571 ging sie beim Reichshofrat
ein. Sie enthält 15 Klagepunkte, die,
wenn auch subjektiv gefärbt, in klarer Sprache
Einblick in die prekäre wirtschaftliche und
soziale Lage der überwiegend bäuerlich geprägten
Freiherrschaft Schramberg bietet. Die
folgenden Zitate stammen alle aus dieser Bittschrift
(= Supplikation).
Schwierige Ausgangsposition
Auf dem Reichstag von Speyer (1570) hatte
eine Delegation Schrambergischer Untertanen
bereits versucht, dem Kaiser eine Bittschrift
mit siebzehn Klagepunkten gegen Anna
Merz zu übergeben. Da die Delegation keinen
Erfolg hatte, reiste sie offensichtlich nach
dem Ende des Reichstages dem Tross des Kaisers
nach und versuchte, sich mit weiteren
Bittschriften Gehör zu verschaffen. Ende 1570
gaben die Abgeordneten ihre Sache immer
noch nicht verloren, obwohl ihnen der
Reichshofrat befahl, sich nach Hause zu begeben
und ihrer Herrin gehorsam zu sein. In der
Supplikation vom März 1571 geloben sie ihrer
„von Gott vorgesetzten Obrigkeit... allen un-
derthenigen Gehorsam, Dienst, und was wir
von Gott und Rechts wegen zu thun schuldig
", bitten aber zum wiederholten Male den
Kaiser mit dramatischen Worten um Hilfe und
Rettung „dieweilen uns von Tag zu Tag je lenger
je mehr ein solche Last und Beschwerniß
auf den Halß gelegt, die uns zu tragen ganz
und gar nitt möglich [und] wier mit unseren
armen Weib und Kindern ganz und gar ins
Elend verlaufen oder im Grund verderben
müssen."
Die Zeit drängte. Einen vom Reichshofrat ausgestellten
Befehl im Namen des Kaisers, Anna
Merz dürfe den Abgeordneten aus der Freiherrschaft
Schramberg „an ihren Leibern, Hab
und Gütern nichts Nachtheiliges fürnehmen",
hatte die gnädige Frau offensichtlich mißachtet
und einige mutige Interessenvertreter der Untertanen
mit Geldstrafen belegt und in den
Turm werfen lassen. Dazu kam es nach Darstellung
der Bittsteller zu gewalttätigen Übergriffen
. Die Obrigkeit habe „durch ihre Forstmeister
und Ambtleut ... unser zween fast auf den
Todt geschlagen". Rechtsunsicherheit und wirtschaftliche
Notlage werden als unerträglich geschildert
. Man sah sich „auch sonst daheimb
durch unsere Grundobrigkeiten dermassen be-
trenget, dass wir mit Weib und Kindern nitt besichert
".
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