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hard kinderlos blieb, holten sie 1892 den
vierzehnjährigen Neffen Josef Eberhard, ließen
ihn das Müllerhandwerk erlernen und schickten
ihn auf die Walz. Nach seiner Rückkehr
übergaben sie ihm die Mühle, behielten sich
aber das Wohnrecht darin vor (Abb. 8).
Als sein Onkel 1905 stirbt, ist er bereits Besitzer
der Mühle. 1908 sucht er in dieser Eigenschaft
bei der Königl. Regierung des Schwarzwaldkreises
in Reutlingen um „Eintragung seines
Wassernutzungsrechts", über das dort, weil es
aus vorderösterreichischen Zeiten stammte,
keine Urkunden vorlagen, in das Wasserrechtsbuch
nach. Eine Kommission aus Reutlingen
war vonnöten, die die Mühle genau vermaß,
sämtliche Details festhielt und im Wasserrechtsbuch
verankerte. Damit war die Nutzung
des Aichhaider Grundbachs zum Betreiben einer
Mühle nun auch von württembergischer
Seite abgesegnet (Abb. 9).
Eine Rechnung aus dem Jahre 1938 belegt, daß
auch er nicht um hohe Aufwendungen zum Erhalt
der Mühle herumkam. Die Fa. Julius Rahm
aus Bettenhausen bei Sulz mußte ein neues
Wasserrad mit Felgen und Armen aus Eichenholz
sowie eisernen Federn und Schaufeln einbauen
. Dafür mußte er 1.213,15 RM entrichten
. Mit dem Abbrechen des alten Rades hatten
zwei Mann je 17 Stunden bei einem Stundenlohn
von sage und schreibe 90 Pf. zu tun. Zusammen
mit weiteren kleineren Arbeiten sowie
Fahrtspesen und Fracht hatte der Müller
allein für diese Reparatur mehr als 1.300 RM zu
zahlen. Dafür schenkte ihm seine Frau Emma
von 1908 an mit schöner Regelmäßigkeit fast
jährlich ein Kind, insgesamt 14, davon 7
Mädchen und 7 Buben. Einer davon ist der
1916 geborene Wendelin. Er wird Müller wie
sein Vater und übernimmt 1950 die Mühle mit
allen Rechten und Pflichten. Doch schon zwei
Jahre später, im Jahre 1952, muß Wendelin
Eberhard schweren Herzens den Mühlenbetrieb
einstellen: Die kleinen Kundenmühlen
konnten sich gegenüber den aufkommenden
Großmühlen, die elektrisch betrieben wurden,
nicht mehr behaupten. Damit schien nach 160
Jahren auch das Schicksal der Aichhaider Mühle
endgültig besiegelt.
Das Mühlenerbe und sein Retter
Der gelernte Müller Wendelin Eberhard mußte,
nun 36jährig, seinen Lebensunterhalt anderweitig
verdienen. Auch die früher schon bestehende
Wirtschaft im sog. Anbau, die heute ein
sehr beliebtes Speiselokal ist, warf damals nicht
soviel Gewinn ab, daß man völlig sorgenfrei
hätte davon leben können. Das führte zu der
grotesken Situation, daß der letzte Müller der
Aichhaider Mühle buchstäblich „fremdgehen"
mußte, um sein Brot zu verdienen.
Wer ihn kennt, kann erahnen, wie sehr er unter
diesem Zustand gelitten hat, zumal er seine
stillgelegte Mühle täglich vor Augen hatte. Als
er das Rentenalter erreicht hatte, legte er deshalb
nicht die Hände in den Schoß, sondern
widmete den „Ruhestand" seiner Mühle, die
nach dreißigjährigem Stillstand dringend der
Renovierung bedurfte. Nach vielen kleineren,
aber insgesamt kostspieligen Reparaturen
wagte er 1993 den ganz großen Schritt, den
Einbau eines neuen Wasserrades, der, um den
Mühlenbetrieb vorzuführen, unabdingbar geworden
war. Er war nämlich, um es drastisch
auszudrücken, von der Idee besessen, die Aich-
halder Mühle, dieses bedeutsame Kulturerbe,
der Nachwelt funktionstüchtig zu erhalten.
In Mühlenbaumeister Karl Brüstle aus Tennenbronn
und Schmiedemeister Michael Gaus von
Hardt fand er zwei Fachleute, mit denen er das
gewagte Unternehmen anging (Abb. lOa-d). Er
selbst mußte, wie seine Kostenaufstellung beweist
, dazu große Mittel aufbringen, vom Aufwand
an Zeit und Eigenleistungen ganz zu
schweigen. Da die Gesamtkosten von ca.
35.000 DM seine finanziellen Möglichkeiten
überstiegen, mußte er bei Ämtern und Behörden
um Zuschüsse nachsuchen.
Wendelin Eberhard ruhte nicht eher, bis er die
Mühle soweit renoviert hatte, daß sie jederzeit
wieder in Gang gebracht werden kann, wenn
auch nur zu Demonstrationszwecken. Daneben
hat er in der Mühle viele Gegenstände und
Urkunden zusammengetragen, die alle mit ihrer
Geschichte zu tun haben. Wenn er das
Wasser über das riesige Mühlrad leitet und
damit das Werk in Gang setzt, wie etwa beim
jährlichen Mühlentag, bleibt einem nur das
Staunen über dieses technische Wunderwerk.
Daß es uns nach über 200jähriger wechselvoller
Geschichte erhalten geblieben ist, muß
Wendelin Eberhard als bleibendes Verdienst
angerechnet werden.
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