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Hans-Joachim Losch:
VOM „KATHOLISCHEN LEHRLINGS VEREIN"
ZUR „STURMSCHAR": DER KATHOLISCHE
JUNGMÄNNERVEREIN IN SCHRAMBERG
Geheime Staatspolizei Stuttgart, den 7- Febr. 1939
Staatspolizeileitstelle Stuttgart
Nr. II B 1 / 195/39
An alle
Außendienststellen und das Grenzpolizeikommissariat
Priedrichshafen der Staatspolizeileitstelle
Stuttgart,
an die landräte, Polizeidirektoren sowie die übrigen
Polizeiamtsvorstände.
Betreff: Auflösung des kath. Jungmännerverbandes
Deutschlands.
Vorgang: Ohne.
Anlagen: 0«
Durch Erlass des Reichsführers und Chefs
der Deutschen Polizei im Reichsministerium des
Jnnern vom 26.1-39, S-PP (II B) 7621/38, ist
auf Grund des § 1 der Verordnung des Reichspräsidenten
zum Schutze von Volk und Staat vom 28.2.33
(RGBl. I S. 83 ) der katholische Jungmännerverband
Deutschlands einschl. aller Neben- und Untergliederungen
u. angeschlossenen Vereinigungen
mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden.
Unter Hinweis auf .die Strafbestimmung des
§ 4 a.a.O. ist jede Tätigkeit, die den Versuch
einer Portführung dieser Organisationen oder eine
Neugründung mit gleichen oder ähnlichen Zielen
darstellt, untersagt.
Gleichzeitig ist gemäss dem Geaetz über die
Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens
vom 14.7.33 (RGBl. I S-479) festgestellt worden,
dass die Bestrebungen der vorbezeichneten Organisationen
volks- und staatsfeindlich sind.
Unter dieses Verbot fallen folgende Neben-
und Untergliederungen und angeschlossene Vereinigungen
:
Deutsche Jugendkraft
St. Georgs-Gemeinschaften
Sturmschar
Kreuzschar _/_
Es gibt nur wenige Originaldokumente der
NS-Zeit zur Lokalgeschichte; denn kurz vor
dem Einmarsch der Franzosen am 20.4.
1945 wurden fast alle Behördenunterlagen
systematisch vernichtet. Man kann daher
von Zufallsfunden sprechen, wenn irgendwo
noch Originaldokumente auftauchen. Zu
diesen Zufallsfunden gehören Akten über die
Auflösung des katholischen Jungmännervereins
Schramberg im Kreisarchiv Rottweil. Sie
haben daher einen Seltenheitswert. Sie sind
in zweifacher Hinsicht von historischer Bedeutung
: Sie helfen mit, die Umstände der
Auflösung zu erhellen. Darüber hinaus belegen
sie, daß es auch unter den Bedingungen
der NS-Diktatur möglich war, Zivilcourage
zu zeigen und Verweigerung als eine Form
des passiven Widerstands zu praktizieren.
„Streng vertraulich" — die Auflösung
des katholischen Jungmännerverbandes
durch Erlaß von Heinrich Himmler,
des Reichsfuhrers SS
Am 7.2.1939 erging ein streng vertrauliches
Schreiben der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle
Stuttgart, an alle Außendienststellen
sowie an die Landräte und die Polizeiamtsvorstände
. Darin wurde ihnen mitgeteilt
, dass durch Erlaß des Reichsführers SS
und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium
des Innern vom 26.1.1939 - auf
Grund des § 1 der Verordnung des Reichspräsidenten
zum Schutz von Volk und Staat
vom 28.2.1933 - der katholische Jungmännerverband
Deutschlands mit seinen gesamten
Neben- und Untergliederungen aufgelöst
worden sei. Alle zuständigen Behörden wurden
angewiesen, die Auflösung der lokalen
Jungmännervereine gleichzeitig am 10.2.1939
vormittags „unauffällig" durchzuführen, Mitgliederlisten
, Schriftmaterial und Vermögenswerte
sicherzustellen und das sichergestellte
Material der Staatspolizeileitstelle Stuttgart
Schreiben der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle
Stuttgart, vom 7.2.1939
[KAR Az. -(Ablage), Qu. 641]
oder ihren Außendienststellen unverzüglich
zu übergeben.
Weisungsgemäß wurde die Operation „unauffällig
" durchgeführt. Am Freitag, dem 10.2.
1939, gegen 10 Uhr morgens erschien Kriminalsekretär
Eisenmann mit einem Beamten im
Pfarramt St. Maria und verkündete dem Stadtpfarrer
Schmitt und dem Vikar Franz Herz1,
dem damaligen Präses des katholischen Jungmännervereins
, daß der katholische Jungmännerverein
in ganz Deutschland aufgehoben
und das Vermögen als staatsgefährlich einzuziehen
sei. Danach gingen die zwei Beamten
auf das Zimmer von Vikar Herz und verlangten
die Herausgabe der Mitgliederliste und des Ver-
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