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nen und sich dort, wo diese Verhältnisse geändert und
gebessert werden können, Interessen streiten; wir glauben
aber, dass in gewissen Fragen Ihr Einfluss nicht minder
groß ist, als unser Vertrauen, dass es gelingen muß, die
derzeitigen unerträglichen Verhältnisse endgültig zu bessern
.
Die in unseren Eingaben enthaltenen Vorschläge und Forderungen
in Bezug der Beseitigung unbilliger Härten des
Einkommensteuergesetzes und des Steuerabzugs, welche
wir an die Reichs- und Landesregierung gerichtet haben,
müssen eine alsbaldige Erfüllung finden, wenn nicht in
der ganzen Arbeiter- und Angestelltenschaft der Glaube
ersticken soll, dass mit legalen Mitteln das Mögliche und
Notwendige erreicht werden kann.
Die Kunst des Regierens besteht bekanntlich in der Schaffung
des Möglichen und Notwendigen. Was wir in unseren
Eingaben gefordert, ist aber möglich, in viel höherem
Maße aber notwendig. Möglich und notwendig ist aber
auch nach der Meinung des schaffenden Volkes eine
umfassende, durchgreifende und vor allen Dingen einheitliche
Maßnahme der Reichs- und Landesregierung in
der Preisabbaufrage. Der große Teil des Volkes hat in den
letzten Jahren Opfer gebracht, die noch kein Volk der Welt
zu bringen hatte. Derselbe Volksteil kann und wird aber
um seiner selbst willen den bestehenden Zustand nicht
länger ertragen. Unser gegenwärtiger Zustand stellt die
Ausbeutung des Menschen durch den Menschen in höchster
Potenz dar. Gewissen Interessenkreisen ist seitens der
Regierung von jeher im weitesten Maße Rechnung getragen
worden. Heute erleben wir und bekommen die Folgen
mit jedem Tag empfindlicher zu spüren, dass die
Zwangswirtschaft für wichtige Artikel aufgehoben, wo
dieselbe noch besteht, durchbrochen und sabotiert wird,
die festgesetzten Höchstpreise eine Illusion sind. Wir
haben letzten Endes kein Interesse an einer Zwangswirtschaft
, das sagt schon das Wort; aber an einer vernünftigen
Preispolitik, zu welcher die Regierung und die Parlamente
die Grundlage schaffen, in ihrer Tendenz, dem Erzeuger
und Produzenten die Existenzmöglichkeit zu sichern, die
breite Masse aber, welche nichts besitzt, als ihre Arbeitskraft
, vor der Verelendung und der Verzweiflung zu
bewahren.
Sie betreten heute eine Arbeitsstätte, wo in gleicher Weise
wie in anderen des Orts durch eine Summe unermüdlicher
Geistesarbeit der Begründer, gepaart mit Fleiß und
Geschick der darin Wirkenden Produkte hergestellt werden
, die uns Schramberger nähren und ehren. Nähren,
wenn unsere Worte nicht ungehört verklingen, hoffentlich
bald recht, und nicht - wie früher und heute - schlecht.
Ehren, dass künftig wie seit langem die Schramberger
Fabrikate Wahrzeichen deutschen Fleisses und deutscher
Intelligenz sein werden."
Auf diese Ausführungen erwiderte der Württ. Arbeits- und
Ernährungsminister Dr. Schall: „Der Gedanke, dass die
Kunst des Regierens die Erreichung des Möglichen sei, ist
ein Gedanke, der immer beobachtet werden möge. Bei der
Steuerbelastung und bei der Frage des Preisabbaus und
der Zwangswirtschaft kommt dieser Gesichtspunkt, die
Kunst des Möglichen zur Geltung. Wir haben ungeheure
Lasten, die durch den Krieg auf das deutsche Volk geladen
werden, Lasten, deren Größe heut noch nicht übersehbar
sind. Daraus ergibt sich hinsichtlich der Steuerbelastung,
dass keine Regierung eine andere Möglichkeit hat als die,
mit dem, was aus dem Volk an Steuerleistungen herausgeholt
werden kann, bis an die Grenze des Erträglichen zu
gehen. Weiter zu gehen, wäre ein ungeheurer Fehler. Wo
diese Grenze liegt, ist in dem einzelnen Fall ausserordentlich
schwer festzustellen. Bezüglich des Steuerabzugs wird
von der arbeitenden Bevölkerung geltend gemacht, dass
eine zu starke Belastung in den gegenwärtigen Verhältnissen
herbeigeführt werde. Ich bin der Überzeugung, dass
diese Ausführungen, die überall gemacht werden, von der
Reichsregierung auf das eingehendste geprüft werden
und Belastungen, die anerkannt werden müssen auch
berücksichtigt werden. Betr. Preisabbau darf wohl
zunächst gesagt sein, dass gerade die Stadt Schramberg
mit großer Initiative vorgegangen ist; sie hat ihren Preisabbau
selbst eingeleitet. Dadurch kann sie aber nur die
Preise bei Kaufleuten abbauen, aber an die Quelle kann sie
nicht kommen und, wenn zu energisch abgebaut wird, ist
der Erfolg, dass keine Ware mehr hereinkommt. Die Frage
des Preisabbaus ist eine schwierige und kann nicht mit
Gewalt abgeändert werden. Die Landwirtschaft sagt, sie
könne mit ihren Preisen nicht heruntergehen, weil ihre
Produktionskosten so hoch sind, dass die Gestehungskosten
kaum gedeckt sind. Das Gleiche sagt die Industrie.
Auch der Arbeiter sagt: „Wenn mein Lohn gekürzt werden
soll, muß ich erst abwarten, bis der Abbau der Lebensbedürfnisse
erfolgt ist." Es wird der Grundsatz festgehalten
werden müssen, dass ein Preisabbau systematisch herbeigeführt
werden muß. Hier ist die Sache wieder verknüpft
mit der finanziellen Lage, mit der Valuta. Jetzt, wo es sich
darum handelt, dass wieder eine Sanierung eintritt, dass
der aufgeblähte Geldwirtschaftskörper auf ein normales
Maß zurückgeführt wird, muß man nur betonen: Es muß
ein systematisches Zusammenarbeiten aller Kreise eintreten
, sonst ist die Frage überhaupt nicht lösbar.
Es wurde ausgeführt, dass die Zwangswirtschaft, wie die
Verhältnisse heute liegen, keine Führung der Wirtschaftsfrage
mehr darstellen kann. In der Ernährungswirtschaft
ist die Sache so, dass wir im großen ganzen vor der Tatsache
stehen, dass wir die Zwangsvorschriften mit den Mitteln
, die uns zu Gebote stehen, nicht mehr durchführen
können. Wenn man rein vom wirtschaftlichen Standpunkt
ausgehend zu der Überzeugung kommt, dass die Zwangswirtschaft
unentbehrlich ist, wird man auf dem Standpunkt
stehen, wir müssen abbauen. Wir bauen jetzt die
Vieh- und Fleisch Wirtschaft nahezu völlig ab. Man wird
darauf gefasst sein müssen, dass recht unerwünschte Folgen
eintreten können, dass das, was heute so stürmisch
verlangt wird, auch die Kehrseite der Medaille zeigen
wird. Gerade hier, wo die, wie wir mit Befriedigung gehört
haben, industriellen Absatzverhältnisse noch verhältnismäßig
günstig liegen, wird manche Schwierigkeit, mit der
wir im Land zu kämpfen haben, viel leichter überwunden
werden. Wir haben hier noch keine wesentliche Arbeitslosigkeit
. Damit wird die Leistungsfähigkeit der hiesigen
Arbeiterschaft erhalten bleiben."
Stadtschultheiß Ritter nahm das Schlusswort, indem er
den hohen Gästen herzlichen Dank für ihre Ausführungen
zollte und ihnen gutes Wetter für die Heimreise und gutes
politisches Wetter für die fernere Erholungszeit im
Schwarz wald wünschte.
Nach Beendigung dieses Begrüßungsaktes begaben sich
die Gäste zur Besichtigung der Junghans'sehen Uhrenfabrik
.
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