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Frau Kreyer, die kleine Hildegard und die Oma,
Frau Bachert, im Frühjahr 1945 in Schramberg.
Erst im Juni 1945 durften sie nach Genehmigung
durch die französische Militärregierung wieder in
ihre Heimatstadt Pirmasens zurückkehren.
das vordere Giebelzimmer. Und ihr zwei tragt
die schweren Koffer die Treppe herauf und
bringt sie auch dorthin." Mit erstaunlicher
Begeisterung waren alle, auch die sonst eher
etwas Gemütlicheren, am Werk. Das ganze Haus
kam in Bewegung.
Schon um zehn Uhr waren alle Umquartierungen
vollzogen. Frau Bachert, zwischenzeitlich
hatten die Eltern beim Gespräch die Namen
der Überraschungsgäste erfahren, Frau Kreyer
und die kleine Hildegard hatten ihre Betten,
und auch alle Kinder waren versorgt. Einige
von ihnen träumten vielleicht schon, todmüde
von all der Aufregung, selig in den Heiligen
Abend hinein.
Und der begann am nächsten Morgen. Die
Krippe war fertig zu bauen, der Christbaum zu
schmücken, der Mutter in der Küche zu helfen,
Holz und Kohlen fürs Schöpplemachen zu Frau
Bachert ins vordere Giebelzimmer zu tragen,
die Noten für das abendliche Musizieren zusammenzusuchen
und und und, was man halt
in einer großen Familie so für den Heiligen
Abend zu tun hat. Die Mutter suchte noch die
Kommodschubladen mit den Babysachen
durch und wurde dabei fündig. Zwei der größeren
Kinder durften das Gefundene schön in
bereits im letzten Jahr gebrauchtes, aber wieder
glattgebügeltes Weihnachtspapier einpacken
.
Der ganze Tag war diesig gewesen. Schon früh
wurde es dunkel. Die Zeit, wo der Papa ein Stubenfenster
für das Hereinkommen des Christkinds
aufmachen musste, war schließlich
herangekommen.Alle Kinder, auch die großen,
hatten im Flur und im Esszimmer auf das
ersehnte Klingeling des Weihnachtsglöckchens
zu warten. Die Kleinsten, wie jedes Jahr, ganz
vorne. Warum dauerte es auch nur dieses Mal
so lang?
Aber jetzt! Die Stubentür flog auf, die Kinder
stürmten jubelnd hinein und standen, wie jedes
Jahr, für einen Moment mäuschenstill und fasziniert
vor dem leuchtenden Christbaum. Es
war wunderschön wie immer, so lange sie zurückdenken
konnten. Aber etwas war anders.
Zuerst konnte man es im schummerigen Kerzenlicht
gar nicht so genau erkennen. Doch
dann sah man es. Da saß ja im Dunkeln, etwas
abseits vom strahlenden Christbaum, Frau
Kreyer mit der kleinen Hildegard auf dem
Schoß. Sie hatte unbemerkt schon früher ins
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