http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/kraez_24/0084
Weihnachtszimmer gehen dürfen. Immer noch
waren alle ganz ruhig. Erst als es dann, vielleicht
durch die vielen, so plötzlich ins Zimmer
gekommenen Leute aufgeschreckt, aus dem
kleinen Bündel heraus kräftig zu „krähen"
begann, war der Bann gebrochen. Eines von
den Kleineren sagte, und es klang andächtig:
„Fast wie beim richtigen Christkindle."
Als dann beim gemeinsamen Singen das „Ihr
Kinderlein kommet" in der althergebrachten
Schramberger Melodie erklang, hatten auch
die Großen das Gefühl, jetzt, gerade jetzt, etwas
ganz, ganz Besonderes erleben zu können.
Und so war es auch. Mitten im grausamen Krieg
war das wirkliche Weihnachtsgeschehen in den
Schwarzwald, nach Schramberg,in das Haus am
Berg gekommen.
Wie es zu dieser Schramberger
Weihnachtsgeschichte kam.
Fast jedes Jahr um die Weihnachtszeit beginnt
meine Frau von dem zu erzählen, was sie im
Alter von gerade 14 Jahren selbst erlebt hat
Wie damals im Jahre 1944, als man wenig
„zu nagen und zu beißen" hatte, am Tag vor
Heiligabend unverhofft Leute ins Elternhaus
kamen, welche noch viel weniger und vor
allem nicht einmal ein Dach über dem Kopf
hatten.Auf ihre empfindsame Kinderseele hat
dieses Erlebnis einen so großen Eindruck
gemacht, dass sie es auch durch alle Fährnisse
ihres späteren Lebens hindurch, nie mehr
vergessen konnte.
Die Adventszeit ist die hohe Zeit der Weih-
nachtsgeschichten.Viele, vor allem ältere Menschen
, versuchen, sich durch solche auf das
Fest einzustimmen.
Seit Jahren obliegt es mir, für den alljährlichen
Wanderjahresabschluss des Jahrgangs
1928/29 eine in den besinnlichen Teil des
Nachmittags überleitende Weihnachtsgeschichte
auszuwählen und vorzulesen. Dabei
habe ich viele schöne, aber auch manche zu
sehr nur auf Gefühle abgestimmte Geschichten
kennen gelernt. Manche glaubhafte,
aber auch viele erkennbar konstruierte. So
wuchs im Laufe der Jahre die Absicht, einmal
zu versuchen mit eigenen Worten das festzuhalten
, was sich im überschaubaren Lebensbereich
der eigenen Familie tatsächlich ereignet
hat.
Hinzu kam auch noch die Erinnerung an das
persönliche Erlebnis, welches ich im Dezember
des Jahres 1944 als einsamer Wachtposten
bei der Heimatflak auf dem Schramberger
Schlossberg gehabt und wegen seiner Ein-
drücklichkeit auch nie mehr vergessen habe.
Daraus ergab sich die zweite Dimension
dieser Erzählung. Die Dritte, das Hineinstellen
in den zeitgeschichtlichen Ablauf
der damaligen Tage, ist mir aus der Erinnerung
heraus noch gut geläufig und kann
zudem in jedem Buch, welches sich mit der
Geschichte der letzten Kriegsmonate befasst,
nachgelesen werden.
82
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/kraez_24/0084