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Enges „gemüthliches" Familienleben
„Das Frei-Amt Unterndo ff bezweckt den Schutz
und die Rechte Förderung der Rechte u. Interessen
seiner Bürger auf gesetzlichen Wegen. Das
Frei-Amt erstrebt hauptsächlich ein enges
gemüthliches Familienleben zu führen." So lautet
§ 1 der am 14. Februar 1904 in einer „Bürgerversammlung
" im „Badischen Hof", dem
heutigen „Deutschen Hof", beschlossenen
„Frei-Amtsordnung" und in § 2 wird erläutert,
wie dies erreicht werden soll: „Dieser Zweck
soll erreicht werden durch ein Waldfest Sommerzeit
u. durch ein(en) Familienabend Winterzeit
. "
Dieser Versammlung sind seit Beginn des Jahres
1904 zahlreiche Aktivitäten vorausgegangen
, welche zur Gründung und Organisation
dieser Zweitältesten Bürgervereinigung in Lauterbach
führen. (Die älteste ist die 1894
gegründete Vereinigung „Gesangverein Bremenloch
".) So treffen sich am Freitag, den
1. Januar interessierte Bürger - ausschließlich
Arbeiter und Handwerker - im Gasthaus zum
„Badischen Hof", um unter der Versammlungsleitung
des Fabrikarbeiters Pius Hug
(1865-1918), das „Freiamt Unterndorf" (so
wird der Ortsteil in den meisten Protokollen
der Gründerzeit genannt) aus der Taufe zu
heben.
Hier werden bereits das Waldfest und der Familienabend
als feste Bestandteile des Programms
erwähnt, doch können auch „mehrere Festlichkeiten
gegeben werden (,) richtet sich jedoch
nach der Bürgerschaft und nach der Kaße". Als
monatlichen Beitrag schlägt Hug 5 Pfennige
vor, sowie ein „Eintrittgeld" von 50 Pfennig.
Dieser Beitrag wird bereits in der übernächsten
Versammlung nach oben korrigiert, da „mit
einem monatlichen Beitrag von 5 Pfennig
nicht viel zu leisten sei." In den ersten Jahren
zahlen die Bürger 10 Pfennige Monatsbeitrag
und 2 Mark Eintrittsgeld. Das Eintrittsalter wird
zunächst auf 20 Jahre, später auf 16 Jahre festgesetzt
. In der Gründungsversammlung wird
auch bereits die Verwaltung des Freiamts festgelegt
, die aus einem Bürgermeister, sechs
Gemeinderäten, einem Gemeinderechner,
einem Polizeidiener und einem Nachtwächter
bestehen soll. Ein Schriftführer ist nicht vorgesehen
, und so ist es ein Glücksfall, dass der
eifrige und ehrgeizige Pius Hug, von dem noch
zu reden sein wird, sämtliche Versammlungen
und Sitzungen sehr genau protokolliert hat. In
der Gründungsversammlung wird eine Schrift
aufgesetzt „Inhalt der heutigen Versammlung
dieselbe soll zirkulirt werden, alle anwesenden
haben sofort ihren Namen unterschrieben.
Bruno Hug erklärt sich bereit bei der übrigen
Bürgerschaft herum zu gehen, um die Schrift
zirkuliren zu lassen."
Warum Freiamt?
Was sind die Motive für die Arbeiter und Handwerker
aus dem Unterdorf, eine Bürgervereinigung
zu gründen? Ein Blick in die Geschichte
der Gemeinde Lauterbach und speziell des
Unterdorfes mag darüber Aufschluss geben.
Das Unterdorf ist 1904 ein junger Ortsteil von
Lauterbach, vorwiegend besiedelt mit „Dorfern
" oder Sulzbachern, die nach der Zerstückelung
der zum „Kammermartinshof"
(später das „Alte Haus") gehörenden Ländereien
Grundstücke erwerben und Häuser
bauen. Neben den für die Kurgäste reservierten
„Kurhäusern" („Kurhaus" - heute „Holzschuh
" - mit Dependance „Tannenhof" und
„Schwarzwaldhotel" - heute „Haus Rebmann")
gibt es die beiden Wirtschaften „Badischer
Hof" und „Waldhorn", in denen die Arbeiterschaft
verkehrt.
Auswärtige Neubürger gibt es nur wenige, da
diese eher in der Industriestadt Schramberg
ihren Wohnsitz nehmen. Aber ähnlich wie
dort, wollen auch im Lauterbacher Unterdorf
die Zugezogenen und die Alteingesessenen
eine engere Gemeinschaft pflegen. Das direkte
Vorbild für sie ist das Freiamt Tos in Schramberg
.
Der Name Freiamt ist sowohl für die Schram-
berger Tös-Bewohner wie auch für die Lauterbacher
im Unterdorf auf eine alte Bezeichnung
für die Hofgebiete im westlichsten Zipfel der
Stadt (der „Thöshof" oder „Döshof") und im
östlichsten Teil des Dorfes (der „Kammermart-
sinshof") zurückzuführen, wie Alfons Brauchle
1990 vermutete (D'Kräz 10 (1990), S.llf.). Er
führt die Bezeichnung „Freiamt" auf die Tatsache
zurück, dass die Pächter von so genannten
„Amtlehen" von bestimmten Abgaben befreit
waren.
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